Geld im Mittelalter

Mittelalterliche Münze aus dem Reich Karls des Großen – Foto der Classical Numismatic Group, Lizenz: CC-BY/GFDLErgänzend zu meinem Artikel zum Geldgebrauch vor dem Kapitalismus hier noch einige Notizen zur Situation im europäischen Mittelalter, basierend auf dem Buch Geld im Mittelalter (2011, Originalausgabe von 2010) des französischen Historikers Jacques Le Goff. Le Goff bezieht sich dabei vor allem auf die Situation vom 13. bis zum 16. Jahrhundert.

Die Finanzen mittelalterlicher Städte basierten oft auf einem Freibrief (charte de franchise), in dem der offiziell über die Stadt herrschende König oder Fürst deren Bewohnerinnen von den meisten Steuern und Zollabgaben befreite (Le Goff 2011, 52). In der städtischen Ökonomie spielten Geldbeziehungen aber eine wichtige Rolle, wobei das Geld durch Gewerbe, innerstädtischen Handel und Fernhandel verdient wurde. Reiche Stadtbürger beschäftigten Dienerinnen und Untergebene, die in Geld bezahlt wurden. Den oft leibeigenen Bauern in der Umgebung kauften die Stadtbewohnerinnen Lebensmittel ab, während die Bauern und feudalen Grundherren in der Stadt hergestellte (Luxus-)Güter erworben, die oft Repräsentationszwecken dienten (53).

Stadt und Land standen somit in einer Wechselbeziehung und nicht nur die Städter, sondern auch die Bauernfamilien kamen regelmäßig mit Geld in Berührung. Für letztere war es zwar weniger wichtig, weil sie ihre wichtigsten Lebensmittel selbst produzierten, während die Städterinnen diese kaufen mussten, aber das Land war keineswegs vom Geldgebrauch abgekoppelt (Le Goff 2011, 54).

Mittelalterliches Geld war fast immer Münzgeld, wobei drei Metalle verwendet wurden – Gold, Silber und (für die kleinsten, am häufigsten verwendeten Münzen) Kupfer (Le Goff 2011, 79). Im Osten Europas wurden teilweise auch Münzen aus Marderfell, sog. „Ledergeld“, verwendet (101). Aber auch Kredite durch private Geldverleiher spielten eine Rolle, nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land, wo ab dem 13. Jahrhundert die Abgaben an Grundherren oft in Geld statt Naturalien gefordert wurden. Dies zwang Bauern, die nicht genügend ihrer Produkte verkauft hatten, sich zu verschulden (119).

Ab dem 14. Jahrhundert kamen zudem Wechsel – Zahlungsversprechen, die zu einem späteren Zeitpunkt durch eine dritte Person eingelöst wurden – als neues Kreditmittel auf; diese wurden insbesondere von Kaufleuten anstelle von Münzgeld verwendet (Le Goff 2011, 157). Der Einlöser des Kredits ließ sich die ausgezahlte Summe von der Ausstellerin erstatten, so entstanden die ersten Banken (159).

Zunehmend erhoben sowohl Städte als auch Fürsten Steuern auf sämtliche Warenverkäufe, wobei für manche Waren (z.B. Wein) höhere Steuern anfielen als für den Rest; zum Teil gab es auch jährliche Besitzsteuern, die z.B. ein Prozent des Vermögens betrugen. Diese Steuern wurden an Stadtbürger verpachtet, die sie eintrieben und einen bestimmten Anteil zur Vergütung behalten dürften. Die Steuerpächter waren aber keine reinen „Geldleute“, sondern meist hohe Bedienstete des Fürsten oder Mitglieder der städtischen Elite, die durch ein „Zubrot“ in Form von Steuereinnahmen für ihre Verdienste belohnt wurden (Le Goff 2011, 172f.).

Während der Kapitalismus auf der Idee basiert, dass das freie Spiel von Angebot und Nachfrage den Preis bestimmt, war im Mittelalter die Idee des „gerechten Preises“ verbreitet. Dies war zum einen der traditionell übliche Preis, der zudem für „Stabilität und Gemeinwohlverträglichkeit“ sorgen sollte, also dafür, dass weder Kundinnen noch Produzenten auf der Strecke blieben. Der gerechte Preis war auch eng mit der für das mittelalterliche Christentum zentralen Idee der Caritas, der Nächstenliebe und Mildtätigkeit verbunden (Le Goff 2011, 236). Kapitalistisches Denken, das systematisch Profite maximiert und aus jeder Interaktion ohne Rücksicht auf das Gegenüber das für die eigene Seite mögliche Maximum herauszuholen sucht, steht zu dieser gerechten Preisvorstellung im diametralen Widerspruch. Dementsprechend lassen sich im Mittelalter auch, trotz der großen Rolle, die Geld insbesondere (aber nicht nur) in den Städten spielte, keine ernsthaften Vorläufer der späteren kapitalistischen Produktionsweise entdecken. Jeder Versuch, etwa die mittelalterlichen Städte zu Keim- oder Frühformen des Kapitalismus zu erklären, zeigt auch Le Goff zufolge nur, dass man beide missversteht. Erst ab dem 16. Jahrhundert tauchten erste Elemente des kapitalistischen Produktionsweise und der für sie typischen Denkformen auf (237) – siehe dazu auch meinen Artikel Wie der Kapitalismus entstand.

Literatur

Le Goff, Jacques. 2011. Geld im Mittelalter. Stuttgart: Klett-Cotta.

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