Der Commonismus ist kein WG-Plenum (II)

Wider den Unmittelbarismus

Dieser Text ist eine Fortsetzung. Im ersten Text wurde versucht die grundlegenden Begriffe von Interpersonalität–Transpersonalität, Vermittlung und Gesellschaft zu entwickeln. In diesem Text soll die spezifische Qualität der commonistischen Vermittlung – dem Commoning – betrachtet werden.

Selbstständige, bewusste Vermittlung nach Bedürfnissen

Bei der Vermittlung in der freien Gesellschaft ist es entscheidend zwei Momente zusammen zu denken: Gestaltbarkeit und Selbstständigkeit. Wie jede transpersonale Vermittlung ist auch die commonistische selbstständig. Sie bildet einen Handlungsrahmen für die unmittelbaren Handlungen der Menschen. Jedoch ist sie auch gleichzeitig gestaltbar. Hier liegt die Crux der commonistischen Vermittlung: die Gleichzeitigkeit von Selbstständigkeit und Gestaltbarkeit zu begreifen.

Diese Gleichzeitigkeit folgt aus der Logik der commonistischen Vermittlung, denn diese funktioniert nicht automatisch nach abstrakten, allgemeinen Zielen (etwa Verwertung), sondern verlangt die bewusste Gestaltung durch die Menschen. Um dies zu verstehen, müssen wir einen kurzen Blick auf die commonistische Vermittlung werfen. Die commonistische Vermittlung, Commoning, ist von uns noch nicht wirklich begriffen. Doch wir bestimmen sie oft darüber, dass sie Inklusionsbedingungen erzeugen muss. Das sind Bedingungen, unter welchen meine Bedürfnisbefriedigung befriedigender ist, wenn sie die Bedürfnisbefriedigung anderer miteinbezieht. Bis jetzt können wir jedoch erst Oberflächenbestimmungen des Commoning wagen: Wir tun, was wir wichtig finden, und bekommen, was wir brauchen. Somit darf kein Mensch zu einer Tätigkeit gezwungen werden. Das ist eine entscheidende Basis von Inklusion. Denn dies bedeutet zum einen, dass sich nur diejenigen elementaren commonistischen Re/Produktionseinheiten (Commons) dauerhaft erhalten können, welche die Tätigkeiten möglichst erfreulich, gestaltbar und motivierend organisieren. Zum anderen werden wir in jenen Commons tätig werden, welche die Bedürfnisse der Nutzenden am besten erfüllen. Denn Mittelherstellung ist nur dann befriedigend, wenn die geschaffenen Mittel auch gerne benutzt werden. Wem macht es schon Spaß Dinge herzustellen, die niemand braucht? Somit haben Commons eine zweiseitige Inklusionsbeziehung: Die Inklusion der Bedürfnisse der Re/Produzierenden und die Inklusion der Bedürfnisse der Nutzenden. Die commonistische Vermittlungsform ist voll dieser ‘Spuren der Inklusion’. Beispielsweise gilt die Inklusionslogik auch für die bewusst gestaltete Vermittlung selbst. So wird ein Commons, welches die Konflikte um Stahlverteilung nicht bedürfnisnahe lösen kann, von Menschen umgestaltet oder von anderen Commons abgelöst, welche diese besser vermitteln können. Mit unserem besseren Verständnis von Commoning werden diese inklusiven Spuren auch immer deutlicher werden.

Dass die Inklusionsbedingungen auf Freiwilligkeit, aber auch der Abwesenheit von Machtmitteln, basieren, macht die Selbstständigkeit der commonistischen Vermittlung aus. An allen Ecken und Enden wird es für Menschen subjektiv funktional, die Bedürfnisse anderer Menschen einzubeziehen. Dies ist ein Struktureffekt, ein Effekt der Vermittlung, der sich in die Mittel einschreibt. Sie alle erleichtern mir das Einbeziehen der Bedürfnisse anderer. Soziale Mittel wie Konfliktmediationsformen fördern die Ergründung und das Verstehen der Bedürfnisse. Gegenständliche Mittel wie Maschinen machen Spaß mit ihnen Dinge herzustellen. Symbolische Mittel wie die Sprache erlauben ein differenziertes und vertiefendes Sprechen über die eignen Bedürfnisse und die anderer. Kurz: Die gesellschaftlichen Mittel sind Vergegenständlichungen der Inklusionslogik. Sie legen den Menschen die Inklusion im unmittelbaren Handeln immer wieder nahe. Dies ist die Selbstständigkeit der commonistischen Vermittlung. Inklusion ist keine (Willens-)Anforderungen an die Menschen. Sie ist kein moralisches, ethisches Ziel, das von Gutmenschen verfolgt wird – nach dem Motto: ‘Ich sollte an die anderen denken’. Sondern Inklusion ist subjektiv funktional für die Einzelnen. In ihren unmittelbaren Handlungen des Herstellens, des Konflikt lösen, des Liebens, des Wohnens etc. gibt es gute Gründe, die Bedürfnisse anderer Menschen einzubeziehen. Nur so können sie die Schule bauen, welche sie für sinnvoll erachten. Nur so können sie die Erdbeeren erhalten, die sie essen wollen. Inklusion ist der ‘Nebeneffekt’ des Commoning. Der Struktureffekt der Inklusion, die ‘Selbstständigkeit’, hat auch wichtige Konsequenzen für die Idee des ‘Commonismus als WG-Plenum’. Ja, der Struktureffekt klingt nach einem ‘Automatismus’, doch Inklusion verlangt bewusste Gestaltung. Und bewusste Gestaltung verlangt Unmittelbarkeit.

Menschen handeln immer unmittelbar. Somit ist auch ihre Bewusstheit nur unmittelbar möglich. Sie kann sich aber auf übergreifende, vermittelte Zusammenhänge beziehen. Bewusste Gestaltung ist v.a. dann notwendig, wenn Bedürfniskonflikte auftreten. Die ‘normale’, konfliktlose Vermittlung kann auf Stigmergie basieren: Sie erlaubt eine Selbstzuordnung der Menschen und gleichzeitig übermittelt sie Informationen, wo und welche Lebens- und Re/Produktionsmittel benötigt werden. Jedoch wird unsere Mittelherstellung auch in Zukunft begrenzt sein. Egal ob es um Äpfel, Stahl oder Erdöl geht. Und genau hier tritt die Bewusstheit auf: Eine freie Gesellschaft muss entscheiden können, ob es ihr nun wichtiger ist, mehr Äpfel oder mehr Schulen im nächsten Jahr zu produzieren. Ob die Stahlproduktion gesteigert oder der Energieverbrauch verringert werden soll. Diese Konfliktvermittlung wird auf vielerlei Ebenen (lokal, regional, überregional, etc.) und in verschiedenen Bereichen (Stahl, Straßenbau etc.) stattfinden. Unserer Meinung nach in Form einer ‘polyzentrischen Selbstorganisation’.

Entscheidend ist bei dieser Konfliktvermittlung: Sie wird bewusst von Menschen vollzogen und nicht von Geld und Verwertungsmöglichkeiten bestimmt. Hier wird deutlich: Die commonistische Vermittlung verlangt Gestaltung. Sie ist ohne gar nicht möglich, gar nicht existent. Menschen müssen auf vielerlei Ebenen und in vielerlei Formen Konflikte bearbeiten und Ziele definieren. Diese bewusste Gestaltung kann nur interpersonal stattfinden. So wird im Commonismus die transpersonale Ebene durch die interpersonale Ebene bestimmt. Sie funktioniert nicht einfach aus sich heraus automatisch(wie die Wertverwertung), sondern bedarf der interpersonalen Entscheidungsfindung. Einmal getroffen, funktioniert sie selbstständig – bis zum Konfliktfall. Die transpersonale Vermittlung schafft Bedingungen, welche Inklusion subjektiv funktional machen. Interpersonale Zusammenhänge schaffen die Inklusion und definieren die Ziele der Gesellschaft. Transpersonalität/Gesellschaftlichkeit ist nichts abgelöstes, verselbstständigtes sondern das Produkt menschlicher Bedürfnisse und deren (ggf. konfliktförmiger) Vermittlung. Gleichzeitig ist die Transpersonalität doch mehr als die interpersonalen Zusammenhänge. Sie entsteht aus ihnen, doch wirkt sie in Form von Inklusionsbedingungen wieder auf sie zurück. Wer Gesellschaft ausschließlich als interpersonalen Zusammenhang denkt, glaubt schnell, dass die Bedürfnisse aller Menschen durch bewusste Entscheidungen einbezogen werden müssen. Er glaubt, die Inklusionslogik müsse durch den Willen der Menschen hergestellt werden. Aber in einer Inklusionsgesellschaft ist die Inklusionslogik ein Struktureffekt, kein Willensakt.

Wider den Unmittelbarismus

Als Unmittelbarismus bezeichnen wir all jene Überlegungen, die versuchen Gesellschaft als bloß interpersonalen Zusammenhang zu denken. Sie denken Gesellschaft bloß unmittelbar, sie versuchen, Transpersonalität in interpersonale Beziehungen aufzulösen. Die kapitalistische Gesellschaft wird dann schnell zu einer Veranstaltung irgendwelcher Herrschenden, die auf verschiedene Arten und Weisen den Rest der Welt ausbeuten. Hier wird die Vermittlungsform des Tausches und seine Struktureffekte von Preis bis Verwertungszwang nicht begriffen. Etwas Ähnliches geschieht beim Commonismus.

Die commonistische Vermittlungsform, wie jede Vermittlung, entsteht auf Basis der unmittelbaren, interpersonalen Handlungen und Entscheidungen der Menschen. Jedoch verselbstständigt sich im Commonismus die Transpersonalität bzw. Gesellschaftlichkeit nicht gegen das Wollen und Wünschen der Menschen, sondern ist interpersonal gestaltbar. Transpersonalität ist hier die Verallgemeinerung der Interpersonalität in der Inklusivität. Menschen gestalten ihre gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst nach ihren Bedürfnissen. Jedoch erschöpft sich der Commonismus nicht in den interpersonalen Entscheidungen, er schafft ein transpersonales ‘Allgemeines’. Es sind die Struktureffekte der Inklusion. Diese müssen nicht immer wieder moralisch, ethisch von Menschen mitgedacht werden. Sondern sie sind ein ‘Nebeneffekt’ des Commoning. Der Commonismus ist keine WG, er ist die zu sich selbst gekommene Menschheit. Es ist die Gesellschaft, in der sich meine Freiheit nur auf Basis der Freiheit aller anderen verwirklichen kann. In der meine Bedürfnisbefriedigung die Bedürfnisse anderer beinhaltet. In der ich ohne Angst von allen abhängig sein kann.

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