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Zur gesellschaftlichen Wirkung von NK-Projekten – einige Zweifel, Fragen und kritische Anmerkungen

[alle Texte der Broschüre „ich tausch nicht mehr – ich will mein Leben zurück“] [1]

Cover der Broschüre "ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück"Meine Ausgangsfragen: Sind unsere bescheidenen Experimente Keimformen einer anderen, nicht-kapitalistischen Gesellschaft? Sind in ihnen also wesentliche Potentiale für eine Transformation angelegt? Oder sind sie eher Nischen von einigen wenigen, letztlich privilegierten Menschen, die sich etwas abseits von den herrschenden Lebensformen ihren Bedürfnissen entsprechend organisieren?

Angesichts eines gegenwärtig übermächtig erscheinenden Kapitalismus, seiner allerorts sichtbaren zerstörerischen Kraft sowie seiner sehr zaghaften Infragestellung in unseren Breitengraden, fällt es mir schwer, mich Fragen einer Transformation der Gesellschaft zu widmen. Es scheint fast müßig. Doch dann bringen ein gewisser Trotz, meine Lust an Zuspitzungen, sicher die Wut über immer neue Schweinereien, die dieses System produziert – in den letzten Monaten gespeist durch meine Beziehungen zu den afrikanischen Refugees vom Oranienplatz[1] [2] – mich wieder dazu, diese Fragen nicht aus den Augen zu verlieren.

Blicke über den Tellerrand, ob nach Indien oder Lateinamerika, zeigen, dass oft überraschend Machtverhältnisse erodieren und sich neue Räume für gesellschaftliche Veränderungen eröffnen.

Wenn ich mich jetzt den oben genannten Fragen widme, so beziehe ich mich dabei auf einige Projekte, überwiegend in Berlin und Brandenburg. Animiert von dem Experiment einer nicht- kommerziellen Landwirtschaft auf dem Karlshof[2] [3] sind weitere Projekte entstanden. Vor 4 Jahren haben sie begonnen, sich miteinander zu vernetzen: sich auszutauschen, sich gegenseitig zu beraten und zu unterstützen.[3] [4] Sie weisen einige Gemeinsamkeiten auf, aber auch deutliche Unterschiede und ein weites Spektrum von Motivationen. Wir teilen viele offene Fragen und Zweifel. Langsam ist ein ‚wir‘ am Entstehen.

Die folgenden Überlegungen beziehen sich nur auf diese Projekte und nicht auf andere Versuche, wie z.B. die › Umsonstläden, die mir verwandt mit unseren erscheinen, die ich aber zu wenig kenne.

Über das Ensemble der Potentiale…..

In diesen NK-Projekten sind eine Vielzahl von Elementen enthalten, die in meiner Idee einer gesellschaftlichen Alternative konstitutiven Charakter haben. Ich möchte hier zusammenfassend ein – sicher nicht vollständiges – Bild von ihnen entwerfen:

Einige dieser Aspekte sind all diesen NK-Projekten eigen, andere sind in ihnen sehr unterschiedlich gewichtet. Die folgenden Gedanken sind vor allem von der Praxis auf dem Karlshof inspiriert, an der ich seit einigen Jahren teilnehme.[6] [7]

…..und ihre Grenzen

Offenheit nach außen: Für wen sind wir wie offen? Welche Chancen haben Menschen mit anderen kulturellen Mustern und Biographien, einen Platz bei uns zu finden? Erwarten wir letztlich, dass sie schon ein Gepäck mitbringen, dass zu unserem passt? Schließen wir bisweilen Menschen aus, um das Konfliktpotential zu begrenzen? Erlauben die Reproduktionsnotwendigkeiten, wie auch die Bedürfnisse, die viele Menschen in Arbeitstätigkeiten haben, letztlich nur sehr wenigen die Teilhabe an unseren Projekten?[7] [8]

Können sich Menschen, die eher handelnd kommunizieren, in unseren Zusammenhängen, in denen viel geredet, geschrieben und gelesen wird, aufgehoben fühlen? Die Projekte sind vielfach von einer großstädtischen Widerstandskultur gespeist, befinden sich aber überwiegend in der Provinz. Wie können wir Brücken bauen?

Die Projekte sind vielfach von einer großstädtischen Widerstandskultur gespeist, befinden sich aber überwiegend in der Provinz.

Konzentrieren wir unsere Energien überwiegend auf die Pflege unseres ‚Inneren‘, auf ein geschlossenes Label ‚Nicht-Kommerzialität‘ oder wollen wir auch Räume öffnen für andere Formen von Kollektivität, die vielleicht eher Kooperationen mit Menschen der Umgebung ermöglichen?

Dazu beispielhaft ein paar Ideen zu Öffnungen des Karlshofs: Parallel zu Experimenten der Nicht-Kommerzialität einen Ort des Austauschs und der Pflege von Saatgut entwickeln, auch mit Menschen, die darüber ihre Reproduktion sichern. Oder uns von den Erfahrungen der Bauernmärkte in Italien und lateinamerikanischen Ländern inspirieren lassen: Märkte, in denen verkauft und gekauft wird, die aber gleichzeitig ein Ort der widerständigen Vernetzung von Menschen sind.

Oder Geflüchteten die Möglichkeit geben, Produkte für ihren Eigenverbrauch, wie auch zum Verkauf, anzubauen.

Wieviel Widerständigkeit hat in unserem Handeln Platz?

Viele von uns, womöglich alle aus unseren NK-Projekten, sind an den unterschiedlichsten kleineren und größeren sozialen Bewegungen beteiligt. Das kann vielleicht als Indiz dienen, dass wir nicht an einem gemütlichen Nischen-Dasein interessiert sind. Wir engagieren uns jedoch bislang eher als Einzelne, entlang unserer politischen Beziehungen außerhalb der NK-Projekte, je nach politischer Biographie in unterschiedlichen Formen und Selbstverständnissen. Eine gegenseitige Vermittlung dieses Reichtums an Erfahrungen findet genauso wie der Austausch unserer jeweiligen Wahrnehmungen der Gesellschaft und unserer Ideen über radikale gesellschaftliche Veränderungen nur sehr vereinzelt statt. Die Teilhabe an NK-Experimenten und andere widerständige Praxen stehen eher nebeneinander.

Angesichts unserer begrenzten Energien können wir absehbar eher kleine Brötchen backen…

Unser bescheidenes Netzwerk ist von außen wenig wahrnehmbar. Die Projekte erscheinen daher kaum als gesellschaftlicher Akteur.

Angesichts unserer begrenzten Energien können wir absehbar eher kleine Brötchen backen: uns mehr voneinander erzählen, uns gegenseitig zur gemeinsamen Teilnahme an widerständigen Aktionen animieren, im Austausch Grundlinien einer gemeinsamen Wahrnehmung des Kapitalismus entwickeln und unsere Identität/en etwas deutlicher nach außen kommunizieren.

Wieviel personelle Kontinuität kriegen wir hin?

Die meisten unserer NK-Projekte sind noch sehr junge Pflänzchen. Ein Blick auf das älteste, den Karlshof, ergibt jedoch ein ähnliches Bild der Diskontinuität, wie in alternativen Projekten der Vergangenheit (Kommunen, Kollektivbetriebe, Kinderläden…): Die Wenigsten von den Vielen, die an dem Experiment der NKL in der einen oder anderen Form oft leidenschaftlich teilgenommen haben, sind gegenwärtig noch dabei.

Zwei Versuche einer Erklärung (die natürlich nicht alles abdecken):

An dem erstgenannten Komplex werden wir nur wenig ändern können. Praktische Lösungsversuche für den zweiten werden mit darüber entscheiden, ob uns mehr Kontinuität und ein bescheidenes Wachstum unseres Netzwerkes gelingen.

Wie viel Verbundenheit wollen wir eigentlich miteinander und wozu soll sie dienen?

Alle an unseren NK-Projekten Beteiligten sehen diese Experimente wohl als einen Beitrag zur gesellschaftlichen Veränderung. Alle teilen wir wahrscheinlich auch die Idee einer ‚Veränderung von unten‘, sowie Skepsis bzw. Ablehnung gegenüber der Form der politischen Partei als Instrument radikaler Veränderungen. Wir suchen stattdessen nach Formen der Verknüpfung selbstorganisierter Gruppen und Projekte. In unserem Austausch wird immer wieder der Ruf nach stärkerer Vernetzung laut. Jedes NK-Projekt tut dies bereits und auch untereinander mehren sich die Fäden, auch wenn eine ganze Reihe noch unverbunden herumhängen.

Die meisten Energien gehen gegenwärtig aber vor allem in die einzelnen Projekte sowie in die Reproduktion der Beteiligten. Da bleibt nicht viel für anderes übrig. Und mir erscheint es auch noch ziemlich unklar, wie viel Verbundenheit wir miteinander herstellen wollen, wie viel Platz die Einzelnen dieser Vernetzung in ihrer politischen Praxis einräumen wollen.

Dementsprechend erscheinen wir auch nach außen kaum als Gemeinsames.

Angesichts der vielen vorhandenen Netzwerke, die nach ein paar Jahren zu trostlosen Treffen einiger weniger ‚Delegierter‘ wurden, sind wir mit Recht skeptisch gegenüber großen Netzwerkentwürfen. Wie machen wir es anders?

Anregend finde ich die auf Deleuze/ Guttuari zurückgehende Idee von rhizomartigen Widerstandsnetzwerken. Rhizom, ein aus der Botanik stammender Begriff, meint ein unterirdisch wachsendes Sprossachsensystem (wie es z.B. die Quecke bildet). Deleuze/ Guttuari haben ihn auf gesellschaftliche Zusammenhänge übertragen. Ausgangspunkt ist die Vielfalt sozialer Bewegungen und selbstorganisierter Projekte. Sie weisen schon jetzt Kreuzungen und Überschneidungen auf, die aber bislang eher zufällig durch Individuen vermittelt werden. Arbeit an der Entwicklung rhizomartiger Widerstandsnetzwerke könnte bedeuten, bewusst und gezielt an der Herstellung von Verbindungslinien zu arbeiten, in der die Vielfältigkeiten nicht einer Einheit untergeordnet werden.

Solche Verbindungslinien aufzuspüren und bewusst anzubahnen, könnte ein erster Schritt für uns sein.

Schlussbemerkung

Unsere NK-Projekte weisen eine Vielzahl von Merkmalen auf, die über den Kapitalismus hinausweisen.

Die beschriebenen Grenzen, das nicht unwahrscheinliche Scheitern einzelner Projekte, sowie die immer noch große Fähigkeit des Kapitalismus, unsere Vorhaben für seine Modernisierung[10] [11] zu nutzen, verheißen jedoch einen steinigen Weg. Ich gehe daher in der nahen Perspektive eher von einem schneckenmäßigen Wachstum aus. Einzelnen wird es vielleicht gelingen, in unseren Projekten Stärke und Kontinuität zu bewahren; für viele wird es wohl eher Durchgangsstadium sein. Bis auf weiteres scheint es wahrscheinlicher, dass unsere Projekte experimentelle Werkstätten sein werden, eher Nischen als Keimformen. Aber alles Neue entsteht ja zunächst in der Nische.

Aber alles Neue entsteht ja zunächst in der Nische.

Der besondere Reiz und die Attraktivität unserer Vorhaben liegt für mich in der Sorgfalt und großen Qualität der sozialen Prozesse. Ihre Bewahrung ist mir wichtig. Bisweilen erscheint mir jedoch diese Akzentuierung etwas exzessiv. Ich wünsche mir Momente des Ausbruchs aus dieser Idylle; Momente, in denen ich/ wir meinen/unseren Zorn über unerträgliche Vorgänge vor unserer Haustür gemeinsam äußern. Auf dem Weg zu einem widerständigen Netzwerk hoffe ich, dass es uns gelingt, Innen und Außen in ein anderes Gleichgewicht zu bringen.

Fußnoten

Autor*innenbeschreibung:

Rolf ist seit langem in verschiedensten Gemeinschaftsprojekten unterwegs. In den letzten Jahren Mitarbeit in der PaG, auf dem Karlshof und Teil der Gemeinschaftsökonomie Kaskade [19].