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Queer-feministische Ökonomiekritik: Perspektiven

care-revolution[Bisher erschienen: Einleitung [1], Teil 1 [2], Teil 2 [3], Teil 3 [4]]

4. Welche gegenseitigen Anregungen gibt es?

Wie pluralistisch will die Bewegung sein?

Degrowth ist eine vielfältige Bewegung, die ganz offensichtlich Wert legt auf Pluralismus, was Hintergründe, Positionen und Fokusse angeht. Wenn es einen klaren herrschaftskritischen Grundanspruch gibt – das heißt eine Ablehnung von Herrschaftsverhältnissen wie etwa Antisemitismus, Sexismus, Rassismus oder Antiromaismus – und es auf dieser Grundlage möglich ist, einzelne Gruppen oder Personen auszuschließen, kann ein gewisser Grad an Pluralismus zu fruchtbaren Allianzen führen. Die Beteiligten können verschiedene Standpunkte austauschen und sich gegenseitig weiterbringen. Doch wie viel Pluralismus möchte eine Bewegung aushalten? Wie können gegensätzliche Positionen ausgehandelt werden, sodass noch immer von einem gemeinsamen Nenner gesprochen werden kann? Diese Fragen wollen wir Degrowth als Anregung mitgeben.

Unsere Ausführungen haben gezeigt, dass queer-feministische Ökonomiekritik und einige Teile von Degrowth viele Gemeinsamkeiten besitzen. Gleichzeitig bleibt für uns als Autor*innen ein grundsätzlicheres Unbehagen an der Schwerpunktsetzung von Degrowth: Es stellt sich uns die Frage, inwiefern der Fokus auf Wachstumskritik als gemeinsamer Nenner für eine kapitalismus- und herrschaftskritische Bewegung zielführend ist, sofern der Begriff Postwachstum einen grundlegend antikapitalistischen Standpunkt nicht zwangsläufig nahelegt. Wirtschaftswachstum ist ein notwendiges Prinzip der kapitalistischen Wirtschaftsweise und nicht das Grundproblem. Durch den Fokus auf Wachstum bleibt die Bewegung möglicherweise offen für Strömungen, die ein antikapitalistisches Grundverständnis nicht teilen, zum Beispiel Verfechter*innen eines „grünen Kapitalismus“. Dies muss nicht zwangsläufig ein Problem sein: Streckenweise ist es sinnvoll, breite Bündnisse einzugehen, um situativ ein konkretes Ziel zu erreichen. Doch inwiefern macht es Sinn, unterschiedliche Strömungen zu einer Bewegung zusammenzufassen, die ein so langfristiges und grundsätzliches Ziel wie sozialen Wandel verfolgt? Sind wir lieber Teil einer pluralistischen Bewegung oder Teil pluraler Bündnisse?

Gleichzeitig möchten wir die Frage selbstkritisch an unsere eigene Bewegung richten: Was sind die Kriterien, nach denen queer-feministische Ökonomiekritik Bündnisse eingehen kann? Organisieren wir uns als Bewegung oder gehen wir in existierenden Bewegungen auf, in die wir unsere Inhalte einzubringen versuchen?

5. Ausblick: Raum für Anregungen, Visionen und Wünsche

Es gilt, radikal zu bleiben und solidarische Strukturen aufzubauen, die selbstverständlich queer-feministisch sind

Eine soziale Bewegung, die politisch etwas verändern will und kann, stellt Bedürfnisse in den Vordergrund und kämpft für eine Gesellschaft, die die Grundlagen dafür bereitstellt, dass diese befriedigt werden können. Mit dieser Veränderung müssen wir im Hier und Jetzt anfangen – aber nicht nur über Appelle, die sich auf individuelle Verhaltensweisen beziehen, sondern über den Aufbau von solidarischen Strukturen. Feministische Ansätze müssen in dieser Bewegung Raum haben, aber nicht als Ergänzung, sondern als Grundkonsens. Es reicht nicht, Allianzen und Bündnisse mit Feminist*innen einzugehen – Feminismus muss in einer sozialen Bewegung selbstverständlich und breit verankert sein.

Wir wünschen uns, dass sich die Degrowth-Bewegung nicht als Politikberatung für das bestehende System empfiehlt und dass sie sich nicht durch die Arbeit in Stiftungen und Parteien vernutzen lässt, wo sie weitere Studien verfasst, denen zufolge es so nicht bleiben kann, um dann ein wenig an den Schrauben zu drehen, statt das System radikal in Frage zu stellen. Wir wünschen uns, dass sie sich nicht davon abhalten lässt, zivilen Ungehorsam an den Tag zu legen, wenn es notwendig ist. Oder andersherum gedacht: Die radikale queer-feministische linke Bewegung erinnert sich und kann Degrowth-Bewegungsaktive daran erinnern, dass die Institutionalisierung von Forderungen sozialer Bewegungen Verbesserungen bringen kann, grundsätzliche Probleme allerdings nicht löst.