Queer-feministische Ökonomiekritik: Kernidee

care-revolution[Bisher erschienen: Einleitung]

1. Was ist die Kernidee der Queer-Feministischen Ökonomiekritik?

Emanzipatorische Politik muss die kapitalistische Trennung in Produktion und Reproduktion überwinden und solidarische, kollektive Strukturen aufbauen

Im Zentrum queer-feministischer Ökonomiekritik steht wie bei vielen sozialen Bewegungen die Frage: Wie kann die Gesellschaft so organisiert sein, dass sie ein gutes Leben für alle ermöglicht? Aus der Perspektive queer-feministischer Ökonomiekritik ist es die kapitalistische Produktionsweise in ihrer Verschränkung mit anderen Herrschaftsverhältnissen, die diesem Ziel entgegensteht.

Die Entwicklung hin zum Kapitalismus ging historisch nicht nur mit der Trennung der Arbeiter*innen von den Produktionsmitteln, sondern auch mit der Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre einher. Produktive Arbeiten sind öffentlich sichtbar und gesellschaftlich anerkannt, gelten als männlich und werden entlohnt. Demgegenüber stehen reproduktive Arbeiten: kochen, putzen, Fürsorge, Kinder erziehen, kranke und alte Menschen pflegen (Care) und Selbstsorge. Diese werden im Privaten von Frauen verrichtet, sind nicht oder niedrig entlohnt, unsichtbar und genießen kaum gesellschaftliche Anerkennung. Die Sphärentrennung ist fundamental wichtig für das Funktionieren des Kapitalismus: Reproduktive Arbeit dient dem Zweck, die Arbeitskraft der Menschen aufrechtzuerhalten. Diese sollen so für sich und ihre Familien sorgen, dass sie am nächsten Tag und langfristig wieder fit für die Lohnarbeit sind. Das Aufziehen von Kindern stellt sicher, dass auch zukünftig genug Arbeitskräfte vorhanden sind.

Es gibt zwei zentrale Gründe dafür, dass diese Arbeiten von den produktiven Arbeiten abgegrenzt und niedriger oder nicht entlohnt werden. Zum einen ist die Aufrechterhaltung der Arbeitskraft aus Sicht des Kapitals ein Kostenfaktor, der den Profit mindert und deshalb gering gehalten werden soll. Zum anderen kann Reproduktionsarbeit, die auf dem Markt erbracht wird, nur bis zu einem gewissen Grad automatisiert und profitabel organisiert werden: Zwar können viele Pflegearbeiten, wie die neoliberale Entwicklung gezeigt hat, auch erwerbsförmig von Dienstleister*innen erbracht werden. Die Profitspanne in diesen Bereichen ist allerdings nicht gleichermaßen zu steigern wie in der Produktionssphäre. Kranke Menschen lassen sich eben nicht „schneller“ pflegen, ohne dass dies unter inhumanen Bedingungen geschieht. Und auch die Versuche, dies dennoch zu tun (Berichte über Vernachlässigung in Pflegeheimen sind keine Seltenheit), müssen zwangsläufig an Grenzen stoßen, die das menschliche Leben setzt. Deshalb ist es kosteneffizienter, wenn eine Gruppe von Menschen (meistens Frauen) diese Arbeiten kostenlos zu Hause oder sehr gering entlohnt verrichtet. Das hierarchische Geschlechterverhältnis mit seinen historisch entstandenen „Geschlechtscharakteren“ (Hausen 1976) liefert dafür die ideologische Legitimation: Demnach seien Frauen natürlicherweise empathischer, fürsorglicher und emotionaler und deshalb viel besser für Kindererziehung und Haushalt geeignet. Diese Ideologie ist auch der Grund, warum Frauen in Care-Berufen schlechter bezahlt werden als in anderen Berufszweigen – aus der Sicht des Kapitals ebenfalls eine günstige Konstellation.

Zwar sieht der heutige neoliberale Kapitalismus – im Unterschied zum Familienernährer-Hausfrau-Modell des westdeutschen Fordismus der 1950er Jahre – ein „adult worker model“ vor: Alle Erwachsenen, auch Frauen, sollen einer Lohnarbeit nachgehen. Die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung und die Trennung Produktion – Reproduktion bleibt jedoch trotzdem bestehen. Das zeigt sich unter anderem daran, dass das neue Arbeitsregime für die lohnarbeitenden Frauen vielfach eine Doppelbelastung darstellt: Nach Feierabend wartet zu Hause die Repro-Schicht. Diejenigen, die es sich leisten können, geben die anfallenden Arbeiten an migrierte und/oder rassistisch diskriminierte Arbeiterinnen weiter. Rassismus und restriktive Migrationsregimes liefern die Grundlage für deren Ausbeutung. Der Zugang von deutschen Mittelschichtsfrauen zur Erwerbsarbeit hatte also (fast) keine Umverteilung der Reproduktionsarbeit zwischen den Geschlechtern zur Folge, sondern zwischen Frauen.

Aus diesen Gründen problematisiert queer-feministische Ökonomiekritik die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung und die Trennung in Produktion und Reproduktion. Diese beiden Polarisierungen sind zentral für das Verständnis von Geschlecht und des Kapitalismus, und sie stehen einem guten Leben für alle im Wege. Gleichzeitig macht queer-feministische Ökonomiekritik aber auch deutlich, dass ein gutes Leben für alle im Kapitalismus prinzipiell nicht möglich ist, weil menschliche Bedürfnisse hier nicht im Zentrum der Produktion stehen: Produziert wird, was Profit abwirft, und nicht, was Menschen brauchen oder sich wünschen. Bedürfnisse werden befriedigt, insofern dies notwendig ist, um die Arbeitskraft aufrechtzuerhalten – sie bleiben allerdings stets zweitrangig und werden auch nur selektiv bedient. Denn während hochqualifizierten Angestellten in Technologiezentren ihre Ausbeutung durch einen hohen Lohn und alle Annehmlichkeiten eines modernen Büros versüßt wird, sterben täglich Menschen aufgrund von katastrophalen Arbeitsbedingungen und Naturzerstörung. Deshalb ist es in der politischen Praxis wichtig, Bedürfnisse ins Zentrum zu stellen und davon ausgehend eine Gesellschaft zu entwerfen, die einen Raum für deren Befriedigung bietet. An diesem Entwurf können sich Kämpfe im Hier und Jetzt ausrichten, denn politische Bewegungen, die dieses Ziel nicht vor Augen haben, können die gesellschaftliche Transformation nicht nachhaltig vorantreiben.

Bewegungsgeschichte

Historisch entstand queer-feministische Ökonomiekritik in marxistisch orientierten Zusammenhängen innerhalb der Zweiten Frauenbewegung. So hatte die sogenannte Hausarbeitsdebatte in den 1970er und 1980er Jahren zum Ziel, Hausarbeit zu politisieren: Dadurch sollte das Herrschaftsverhältnis, das der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung zugrunde liegt, thematisiert und aufgebrochen werden. Sie entstand aber auch aus der Kritik am Marxismus selbst: Dieser sieht oft nur die Produktionssphäre und denkt reproduktive Arbeit in der politischen Praxis nicht mit, wodurch die Sphärentrennung fortgeschrieben wird. Die Einbeziehung feministischer Ansätze in den Marxismus verändert die Perspektive auf Gesellschaft und politische Praxis grundlegend; Feminismus funktioniert nicht als bloße Ergänzung zum marxistischen Mainstream. Zudem wurde in der schwulen und lesbischen Bewegung, die eng mit feministischen Kämpfen verknüpft war, die Naturhaftigkeit von Sexualität und Geschlecht in Frage gestellt und der Zusammenhang von heterosexueller Familienstruktur und kapitalistischer Produktionsweise herausgestellt.

Das „queer“ in queer-feministischer Ökonomiekritik bezeichnet für uns die Ablehnung von Heterosexismus und Heteronormativität sowie der ontologischen Vorstellung, es gäbe eine Natur des Menschen jenseits von gesellschaftlichen Verhältnissen. Es geht dabei sowohl um eine Kritik an Zweigeschlechtlichkeit und dem System polarer Gegensätze (Zum Beispiel: schwarz – weiß, Mann – Frau, rational – irrational) als auch um das Aufzeigen der Geschichtlichkeit bestimmter Vorstellungen: Wie werden Menschen gedacht, wie werden sie mit bestimmten Charaktereigenschaften „ausgestattet“ und beschrieben? Es geht darum, hegemoniale Normalität1 zu hinterfragen, und um die Ausschlüssen, die damit notwendigerweise verknüpft sind. Und es geht darum, gesellschaftliche Diskriminierungs- und Ausbeutungsverhältnisse zu benennen, zu bekämpfen, zu überwinden.

Kollektiv und solidarisch gegen das Patriarchat

Der soziale Wandel, der zu einer befreiten Gesellschaft führt, funktioniert aus Sicht queer-feministischer Ökonomiekritik nur über den Aufbau solidarischer und kollektiver Strukturen, die Sorge- und Reproduktionsarbeit vergesellschaften. Menschen sollen in der Sorge um ihr Leben nicht auf sich allein gestellt sein. Die Strukturen dafür gilt es im Hier und Jetzt aufzubauen und zu fordern, denn sie sind es, die den gesellschaftlichen Wandel vorantreiben. Dies umfasst zum einen, den Zugang zu sozialen Infrastrukturen für alle zu ermöglichen, und zum anderen, sich im sozialen Nahfeld als Community zu begreifen und sich gegenseitig abzusichern. Dadurch wird Zeit für politische Arbeit freigesetzt. Gleichzeitig braucht es diese Strukturen, um Erfahrungen darin zu sammeln, wie eine nach-kapitalistische Gesellschaft organisiert werden kann. Wir erleben dies heute schon überall da, wo Reproduktionsarbeit kollektiv organisiert wird: Kollektive Kinderbetreuung, Hausprojekte oder solidarische Ökonomien sind Beispiele. Solche kollektiven Organisationsformen müssen ausgebaut und langfristig muss ein System sozialer Absicherung jenseits des Staates etabliert werden.

Um schon heute Verbesserungen für die Lebensbedingungen von Menschen zu erreichen, ist es richtig, Forderungen an den Staat zu stellen. Wirklich emanzipatorische Politik und ein gutes Leben für alle ist jedoch nicht möglich mit einem Staat, der darauf ausgerichtet ist, die kapitalistische Produktion abzusichern. Reformistische Forderungen sind integrierbar in die marktwirtschaftliche und heterosexistische Ordnung. Es gilt, Forderungen zu stellen, die über das Bestehende hinausreichen:

In den Diskussionen um bedingungsloses Grundeinkommen und Lohn für Hausarbeit gab es immer auch Fraktionen, die diese Forderungen derart formuliert haben, dass ihre konkrete Umsetzung nicht mit der bestehenden Ordnung vereinbar gewesen wäre. […] Solche nicht unmittelbar im Bestehenden umsetzbaren Forderungen dennoch zu formulieren und zu verfolgen, zielte darauf ab, solidarische Bündnisse zu organisieren, auf deren Grundlage der Rahmen des Machbaren nicht länger als absolute Grenze des Politischen hingenommen würde. […] Es gilt die Machtfrage zu stellen. (Möser; Hausotter 2010)

Konkrete Kämpfe, in denen es möglich ist, die Machtfrage zu stellen, sind beispielsweise Streiks, die Commons-Bewegung oder die 4-in-1-Perspektive.
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[1] Mit „hegemonialer Normalität“ meinen wir, dass Dinge, die gesellschaftlich (also herrschaftlich durchgesetzt) als normal gelten (wie Zweigeschlechtlichkeit) nicht von Natur aus normal sind, sondern normal gemacht werden. Die Meinung, dass ein bestimmter Sachverhalt normal sei, ist mit Macht ausgestattet. Deshalb konnte sie sich durchsetzen und deshalb ist es schwierig, Normalität aufzubrechen. Das macht sie „hegemonial“.

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