Elemente einer künftigen Ethik: Ausschluss höchstens zur Sicherung der eigenen Gebrauchsrechte

Im Kapitalismus spielen Ausschlussrechte eine wichtige Rolle (Foto von Bernd Schwabe in Hannover, CC BY-SA,, Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Helmut_Hennig_Betreten_verboten_Die_gefangene_Zeit_Ein_tempor%C3%A4r_angelegtes_Privatgrundst%C3%BCck_im_%C3%B6ffentlichen_Raum_2012_II.jpg, zum Vergrößern klicken)(Voriger Artikel: Keine Ausnutzung von Zwangslagen)

Bestimmte Eigentumsrechte dürfte es in jeder Gesellschaft gegeben haben, doch nie zuvor hat das Eigentum eine so fundamentale Rolle gespielt wie im Kapitalismus. Das Eigentum im modern-kapitalistische Sinne umfasst dabei unterschiedliche Rechte, die sich in Anlehnung an Poteete et al. (2010: 95f) wie folgt gruppieren lassen:

  • Zugang bzw. Nutzung: das Recht, ein Stück Land zu betreten, ein Buch zu lesen, ein Spiel zu spielen etc.
  • Entnahme bzw. Verbrauch: das Recht, die Erträge nachwachsender Ressourcen zu nutzen (z.B. ein Feld zu ernten) oder nicht-nachwachsende Dinge zu verbrauchen (z.B. einen Apfel zu essen)
  • Regulierung (Management): das Recht, zu bestimmen, wie eine Ressource genutzt wird (ob ein Feld bestellt oder brach gelassen wird oder ob ein Haus darauf gebaut wird, ob ein Wald abgeholzt oder nur Fallholz entnommen wird)
  • Ausschluss: das Recht, zu bestimmen, wer eine Ressource nutzen darf und in welcher Weise
  • Veräußerung: das Recht, alle diese Rechte oder einzelne davon an andere zu verkaufen oder zu vermieten

Diese Rechte bauen aufeinander auf. Das Entnahmerecht setzt voraus, dass man Zugang zur Ressource hat, das Ausschlussrecht setzt voraus, dass man selbst gewisse Rechte an der Ressource hat, von denen man andere ausschließen oder die man ihnen einräumen kann, etc.

Eigentum im heutigen Sinne umfasst typischerweise all diese fünf Rechte, auch wenn es dabei nicht selten gewisse Einschränkungen gibt. Bei Grundstücken liegt das Regulierungsrecht oft nur zum Teil bei den einzelnen Eigentümern – ob Land bebaut werden darf, entscheidet normalerweise die Gemeinde, in der es liegt. Tierhalterinnen haben die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes zu beachten, Waffen werden durch das Waffengesetz reguliert. Auch im Kapitalismus sind die Eigentumsrechte nicht absolut und allumfassend.

Ausschluss- und Veräußerungsrechte sind heutzutage von entscheidender Bedeutung, da das Ziel aller kapitalistischen Unternehmen die Kapitalvermehrung ist: Es gilt, Geld in mehr Geld zu verwandeln oder, allgemeiner ausgedrückt, mittels (käuflichem) Eigentum weiteres (verkäufliches) Eigentum zu schaffen. Was nicht ge- und verkauft werden kann, ist für den kapitalistischen Verwertungsprozess in aller Regel uninteressant, da es außerhalb seiner Reichweite liegt.

Ebenso entscheidend ist das Ausschlussrecht, da niemand für etwas zahlen würde, wozu er ohnehin freien Zugang hat. Weitreichende Ausschlussrechte sind also die Voraussetzung dafür, zahlreiche Menschen in den Kapitalverwertungsprozess einzubinden, indem ihnen gegen Geld bestimmte Rechte (von der einfachen Nutzung bis zum kompletten Rechtebündel) an Gütern eingeräumt werden, die sie brauchen oder haben möchten. Durch die (gegen Geldzahlung aufhebbaren) Ausschlüsse werden die Menschen aber nicht nur als Konsumentinnen in den Verwertungsprozess eingebunden, sondern auch als Arbeiterinnen, also Produzentinnen. Denn den meisten bleibt im Kapitalismus kaum etwas anderes als der Verkauf ihrer Arbeitskraft, um sich das zur Aufhebung von Ausschlüssen nötige Kleingeld zu beschaffen.

Da es im Peercommonismus nicht um die Geldvermehrung, sondern um die Bedürfnisse der Menschen geht, dürfte sich der Fokus verschieben. Anstelle des umfassenden Rechtebündel dürfte es vor allem um die ersten beiden Rechte – Nutzung, Entnahme und Verbrauch – gehen, da diese die konkrete Bedürfnisbefriedigung ermöglichen. Der Ausschluss anderer dürfte nur noch dann zulässig sein, wenn er zur Realisierung dieser beiden Rechte – ich werde sie als „Gebrauchsrechte“ zusammenfassen – notwendig ist.

Sprich: Ich muss auch im Peercommonismus niemand anderen in meine Wohnung einziehen lassen, weil das mein Recht zur Nutzung (zum Bewohnen) der Wohnung massiv beeinträchtigen würde. Ich muss niemand den Apfel essen lassen, den ich mir für später zum Abendessen mitgenommen habe, da das mein eigenes Recht, ihn zu verbrauchen (zu essen), beseitigen würde.

Anders sieht es aus, wenn der Gebrauch anderer meinen eigenen Gebrauch einer Sache nicht behindert oder wenn ich die Sache selbst gar nicht gebrauchen will – dann habe ich kein Recht, andere am Gebrauch zu hindern.

Das bedeutet etwa, dass ich andere nicht an der Nutzung von öffentlich gewordenem Wissen (wie wissenschaftliche Theorien, Entdeckungen und Erfindungen) oder von Zeichenartefakten (wie Texte, Software, Musik, Filme, Landkarten) hindern kann. Denn Wissen und von Menschen oder Computern interpretierbare Zeichen verbrauchen sich im Gebrauch nicht und lassen sich von beliebig vielen Menschen gleichzeitig nutzen. Wie Thomas Jefferson, der dritte Präsident der USA, prägnant formuliert hat:

He who receives an idea from me, receives instruction himself without lessening mine; as he who lights his taper at mine, receives light without darkening me. That ideas should freely spread from one to another over the globe, for the moral and mutual instruction of man, and improvement of his condition, seems to have been peculiarly and benevolently designed by nature, when she made them, like fire, expansible over all space, without lessening their density in any point, and like the air in which we breathe, move, and have our physical being, incapable of confinement or exclusive appropriation. (Brief an Isaac McPherson vom 13. August 1813)

Das Recht zum Ausschluss anderer erlischt aber auch dann, wenn man die Sache selbst gar nicht (oder nicht mehr) nutzen will. Ich habe also kein Recht, eine Wohnung an andere zu vermieten – denn das würde bedeuten, dass ich sie selbst gar nicht benutze und somit keinen Grund habe, andere von ihrer Nutzung auszuschließen.

Muss ich deshalb meine Wohnung räumen, wenn ich lediglich für einige Wochen oder vielleicht Monate verreise? Wohl kaum, da ich sie dann ja weiterhin nutzen will, nur nicht sofort. Andererseits dürfte es nicht mehr als akzeptabel gelten, durch eine sehr sporadische oder für die ferne Zukunft angedachte Nutzung eine sehr viel intensivere Nutzung durch andere zu verhindern. Dauerhaft Ferienwohnungen zu beanspruchen, in denen man jährlich nur einige Wochen oder Monate verbringt und die sonst leerstehen, wird daher wohl nicht möglich sein – außer wenn in der Gegend so viel Wohnraum vorhanden ist, dass andere gar kein Interesse an der Wohnung haben.

(Fortsetzung: Die Natur gehört allen und niemandem)

Literatur

  • Poteete, Amy R.; Marco A. Janssen; Elinor Ostrom (2010): Working Together: Collective Action, the Commons, and Multiple Methods in Practice. Princeton: Princeton University Press.

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