Commons auf dem »Prüfstand« — die Antworten

Hier nun unsere Antworten zu den Fragen vom Sustainable Europe Research Institute (SERI) aus Österreich:

ARBEIT

Welche Bedeutung hat Arbeit für das gute Leben?

Arbeit, verstanden als ‘Arbeit-für-Geld’, ist unter den gegebenen Bedingungen für die meisten Menschen von existenzieller Bedeutung. Gelderwerb ist für sie zur schieren Notwendigkeit geworden. Dennoch sinkt der Beitrag, den ‘Arbeit-für-Geld’ für ein gutes Leben leistet. Dies liegt am entfremdenden, oft sinnentleerten Charakter der Arbeit.

Ein gutes Leben (im Sinne von menschlich/ lebendig) braucht einerseits mehr sinnerfüllte und bedürfnisorientierte Tätigkeit – die heute in der Regel unbezahlt ist – und andererseits weniger von Sinn und Bedürfnissen losgelöste Arbeit, die getan wird, allein weil man damit Geld verdient. Das gilt für alle Bereiche der Gesellschaft. Die Commons überschreiten die folgenreiche Verkürzung unseres Verständnisses von Arbeit als ‘Arbeit-für-Geld’ in Richtung auf Einbeziehung und Anerkennung aller notwendigen Tätigkeiten, auch der so genannten reproduktiven Tätigkeiten, die gewöhnlich nicht bezahlt werden.

Wie sehen Sie die Zukunft der Arbeit?

Arbeit als ‘Arbeit-für-Geld’ hat eine endliche Lebensdauer, denn diese Form der Arbeit steht im Wettbewerb unter dem Zwang, sich selbst überflüssig zu machen (aktuelles Beispiel: Der Arbeitsplatz „Kassierer/in“ wird abgeschafft und durch Automaten ersetzt, und die noch verbleibende „Arbeit“ besteht lediglich in der Kontrolle der anderen). Das ist ein strukturelles Problem, dem auch der einzelne „Arbeitgeber“ nicht entkommt. Die Betroffenen selbst erleben es als Bedrohung ihrer Existenz. Für die Natur ist dieses Strukturproblem des Kapitalismus zerstörerisch, denn eine gewöhnliche (i.S.v. Denkgewohnheit) Antwort auf dieses Problem besteht darin, immer neue Bereiche von Natur und sozialer Sphäre zu kapitalisieren (aktuelles Beispiel: Fracking). Die Alternative kann nur sein, die Existenz der Menschen immer weniger von ‘Arbeit-für-Geld’ abhängig zu machen und solche Tätigkeiten zu stärken, die materielle wie soziale Bedürfnisse zugleich befriedigen. Diese Tätigkeiten machen das Leben „geldeffizienter“, wie Wolfgang Sachs es ausdrückt, denn was ich durch Teilen, intensivierten Gebrauch, gemeinsame Produktion u.v.m. abgedecken kann, muss ich nicht einkaufen. Diese Alternative bieten die Commons.

Sollten noch mehr informelle Tätigkeiten in den Markt integriert werden? Wenn ja welche? Wenn nein, warum nicht?

Hier wäre zu fragen, wer welche Tätigkeiten auf welcher Grundlage und mit welcher Absicht als „formell“ und „informell“ bestimmt. Jene “informellen” Tätigkeiten, die Beziehungen vertiefen, Sinn stiften, Zeitgenuss möglich machen und sich grundsätzlich der Marktlogik entziehen, dürfen nicht in den Markt integriert werden. Dies zeigt sich etwa in der Pflege. Man kann das Haarekämmen einer pflegebedürftigen Person nicht endlos „optimieren“ ohne die Tätigkeit selbst abzuschaffen, „weil sie sich nicht rechnet“. Im Grunde müsste es darum gehen, das Haarekämmen so „ineffizient“ wie möglich zu machen, um der Person so viel Zuwendung wie möglich entgegen zu bringen. In diesem Sinne könnte man die Commons als Oikonomie der Zuwendung, der Beziehungspflege und der Bedürfnisorientierung beschreiben.

Tatsache ist: Die Marktlogik zersetzt die Commons-Logik. In der Pflege, wie in vielen anderen Bereichen – etwa der Lebensmittelproduktion – unterminiert das ökonomische Zeitsparregime zur Reduzierung der Kosten die Beziehungen zwischen Mensch und Mensch (z.B. Pflegenden und Gepflegten) sowie zwischen Mensch und Natur. Derzeit werden nahezu zwei Drittel aller gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten außerhalb des Marktes erbracht. Das Ziel kann nicht sein, diese in den Markt zu integrieren, sondern umgekehrt braucht eine zukunftsfähige Gesellschaft mehr Tätigkeiten, die außerhalb des Marktes die Lebensbedingungen schaffen, die wir brauchen.

Wie wird sich die Arbeitsproduktivität in Zukunft entwickeln?

Sie wird weiter steigen – sofern sich nichts grundlegend ändert. Mit den oben beschriebenen Konsequenzen.

Wie viel Stunden pro Kopf müssen wir in Zukunft arbeiten? Und wie lange?

Berechnungen zeigen, dass fünf Stunden pro Woche ausreichen könnten, um die materiellen Voraussetzungen für ein gutes Leben zu schaffen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen aber wird sich die Schere zwischen denen, die extrem viel arbeiten, und jenen, die von Erwerbsarbeit ausgeschlossen werden, immer weiter öffnen.

Wie hoch kann der Anteil an Dienstleistungen am BIP sein?

Das müssen Sie die Statistiker fragen. Das BIP ist eine für Wohlstand und Lebenszufriedenheit wenig aussagekräftige Größe.

Wie kann Beschäftigung für alle ohne ein stetiges Wirtschaftswachstum erreicht werden?

Die Frage impliziert, dass über eine Entkopplung von „Beschäftigung“ und „stetem Wirtschaftswachstum“ nachgedacht werden muss. Dem ist zuzustimmen. Denn es kann nicht das Ziel sein, Beschäftigung für alle (verstanden als ‘Arbeit-für-Geld’) zu schaffen, da – wie Ihre Frage auch nahelegt – im gegenwärtigen Wirtschaftssystem Beschäftigung Wirtschaftswachstum voraussetzt. Der Zwang zum Wirtschaftswachstum aber zerstört die Existenzgrundlagen von Menschen und Planet Erde.

Der Perspektivwechsel muss daher lauten: Produktion der notwendigen Güter und Dienste jenseits der Logik des Marktes in kollektiver Selbstorganisation auf Grundlage von Commons. Das heißt auch, dass mehr Commons statt Waren produziert würden. Ein Beispiel: Derzeit werden viele Bildungsgüter als Waren produziert, was u.a. den Staat, aber auch die Familien zu enormen Bildungsausgaben treibt und zudem die soziale Spaltung vertieft. Bei freier Verfügung würde die Entwicklung von Wissensgütern drastisch im Preis sinken, was die Abhängigkeit von Geld und Markt reduzieren und gleichzeitig den Zugang zu Bildung für alle verbessern würde.

Welche Maßnahmen sind notwendig, um ihre Vorstellungen einer nachhaltigen Arbeitswelt umzusetzen?

Eine nachhaltige Arbeitswelt ist im herrschenden Paradigma der ‘Arbeit-für-Geld’ ein Widerspruch in sich. Wirtschaftswachstum schafft Produktivitätssteigerungen, die Arbeit überflüssig macht, was zur Kompensation eine weitere Ausweitung der Wirtschaft erzwingt, die am Ende stetig mehr Ressourcen verbraucht und dennoch ihren Selbstwiderspruch nicht auflösen kann, sondern den Pfad der Destruktion immer weiter beschreitet.

Wir würden daher anregen, systematisch nach einer re-/produktiven Lebenswelt zu fragen, die alle für ein gutes Leben notwendigen Tätigkeiten gleichermaßen im Blick hat. Wichtige Elemente einer solchen Vorstellung sind hier: Freiwilligkeit, Verschränkung von kognitiven und praktischen Fähigkeiten, Offenheit (statt auf der Karriereleiter nach oben – oder unten – auf dem tätigen Lebensweg in viele Richtungen), Geschlechtergerechtigkeit…

UMWELT/RESSOURCEN

Wie entwickelt sich in Ihrem Ansatz Ihrer Ansicht nach der Ressourcenverbrauch (kurz, mittel, langfristig; abiot./biot. Material (primär/sekundär), Wasser, Land?

Der Ressourcenverbrauch wird in jeder der von Ihnen angeführten Dimensionen weiter zunehmen, sofern alles „normal“ weiterläuft. Zumindest gibt es keine überzeugenden Indikatoren für die absolute Entkopplung von Ressourcenverbrauch und „wirtschaftlicher Entwicklung“/ Wirtschaftswachstum.

Die Normalität produziert das Krisenpotenzial. Zwei Entwicklungen können diese globale Tendenz stoppen oder umkehren: Kollaps (dem ein Commons-Ansatz zumindest vorbeugen kann) oder Paradigmenwechsel. Der Kollaps als Entladung des in Normalität gewachsenen Krisenpotenzials wirkt sich paradoxerweise auf den Ressourcenverbrauch positiv aus, während er für die Menschen katastrophale Konsequenzen hat. Der Paradigmenwechsel ist der Prozess der Commonifizierung der Produktion, der Alltagswelt und der Institutionen, der mit Dezentralisierung, Bedürfnisorientierung (statt – erzeugung) und radikaler Demokratisierung einher geht.

Commons-Forschung konnte nachweisen, dass die Ressourcennutzung der in den konkreten Nutzungsgemeinschaften verankerten produktive Prozesse – trotz teilweise hoher Redundanz – in der Regel nachhaltiger sind als solche, die entweder über den Markt oder über den Staat koordiniert werden. Sollte auch das Teilen von Wissen und immateriellen Ressourcen intensiv voran getrieben werden, ist mittel- und langfristig von einer erheblichen Dezentralisierung und damit Senkung des Ressourcenverbrauchs für Logistik, Transport, Werbung usw. auszugehen.

Wie entwickelt sich der Carbonverbrauch, wie die Umwelt, Biodiversität, etc.?

Der Carbonverbrauch – verstanden als Prozess der Umsetzung von gebundener in ungebundene Kohlenstoffform durch Nutzung carbonbasierter Energieträger – wird parallel zum Ressourcenverbauch zunehmen. Umweltschäden, Klimaerwärmung und Rückgang der Biodiversität sind die Folgen. Dies, wie angeführt, für den Normalfall, nicht für ein Krisenszenario, wobei Normalität und Krise zunehmend weniger zu trennen sein werden.

Wie sind die Stocks, built environment betroffen?

Vorhandene, einst geschaffene Umwelten und Lebensmittel im weiten Sinne bedürfen der kontinuierlichen Pflege. Wird ihre Regeneration und Erneuerung von der Verwertungslogik abhängig gemacht, ist einerseits absehbar, dass diese „Stocks“ erheblich Schaden nehmen und andererseits, dass es zu einer weltweiten Segregation kommt: in produktive und profitable Zonen, in denen die Infrastrukturen aufrecht erhalten werden, und in solche Zonen, die mangels monetärer Mittel zunehmend verfallen. Aber vielleicht entstehen gerade dort die Freiräume für Neues: für das Ausprobieren und Einüben des anderen Paradigmas. Vielleicht sind die Landkarten des „Nullwachstums“ zugleich die Landkarten zeitgemäßer Commons. Und wenn das der Fall ist, werden gerade die „built environments“ eine Umbewertung (Rekonzeptualisierung) ihres Potentials erleben. Ein nicht-vermietbares Haus etwa ist dann vielleicht ein Schatz, der längst gesuchte Raum für das erste Repaircafé oder das erste Fab-Lab einer Region.

Wie ist Verteilung der obigen Kategorien weltweit (im eigenen Land, EU, global – Industrie–, Schwellen-, Entwicklungsländer)?

Die Verteilung der sozialen wie ökologischen Folgen normalen Wirtschaftens werden sich zunehmend entlang des Gefälles montären Reichtums anordnen. Danach sind monetär reiche Regionen eher in der Lage, die Konsequenzen des Wirtschaftens zu externalisieren und die Folgen globaler Schädigungen zum kompensieren. Die reichen Niederlande schützen ihre Küsten durch Erhöhung der Deiche, was sich arme Inselländer oder Bangladesh nicht leisten können. Entsprechendes gilt für den sozialen Bereich: Feministische Ökonominnen weisen darauf hin, dass sich die „Pflegekette“ internationalisiert.

Wie kann sich das Konsumverhalten verändern (z.B. Nutzen statt besitzen, etc.)?

Das Konsumverhalten kann sich aus unterschiedlichen Gründen ändern. „Peak everything“, monetäre Grenzen oder Bewusstseinsprozesse können die Güternutzung durch „Teilen“ intensivieren. Egal aus welchen Gründen sich eine Kultur des Teilens etabliert: Sie ist zu begrüßen, denn es ist nicht egal, ob Menschen sich daran gewöhnen, das Auto aus der eigenen Garage zu holen oder vom nächsten Stellplatz oder ob sie es gar vorziehen, ein Zugabteil zu teilen.

Und egal aus welchen Gründen geteilt wird: Es bedeutet, dass weniger Güter produziert werden müssen, was in der gegeben Marktlogik jedoch krisenverschärfend wirkt und weniger ‘Arbeit-für-Geld’ in Aussicht stellt. Deswegen greift die Politik auch gern mit wachstumsfördernden Maßnahmen ein, was wiederum den Bewusstseinswandel unterläuft.

In der propagierten Shareconomy (jenem Teil, der sich innerhalb des dominierenden Paradigmas bewegt) werden sich die Unternehmen behaupten, die auf den Trend des Teilens setzen. Sie werden wachsen, während jene Einbußen erfahren, die weiterhin die klassische Ausweitung der Produktion betreiben. Das haben auch schon die Autokonzerne erkannt, die jetzt Produkte zum Teilen – wie Car2go – entwickeln. Der hier skizzierte basale Widerspruch – reduzierte Produktion wirkt ökonomisch negativ, aber ökologisch positiv – zeigt sich auch im Falle einer tatsächlichen geteilten, intensivierten Güternutzung, also in jenem Bereich, in dem es ums kommerzfreie Teilen des Vorhandenen und nicht um neue Geschäftsmodelle geht, die auf die geteilte Nutzung von Waren setzen.

Wie lässt sich der Rebound-Effekt vermeiden?

Der Reboundeffekt lässt sich unter den gegebenen Imperativen des Wirtschaftens nicht vermeiden. Im Commons-Paradigma würden zumindest mehrere Treiber des Rebound Effekts fehlen: Wachstumszwang, Verwertungszwang, Animation zur Konsumkultur.

Welche konkreten Ideen haben Sie, um ein anderes Wirtschaften mit weniger Ressourcen- und Umweltverbrauch umzusetzen?

Zunächst einmal: neu denken lernen im oben skizzierten Sinne. Diese Fragen gehören dringend an die Unversitäten, insbesondere an die zur intellektuellen Monokultur verkommenen wirtschaftswissenschaftlichen Bereiche. Wir können nicht „anders wirtschaften“, wenn wir uns „anderes Wirtschaften“ nicht einmal vorstellen können und es nicht gelingt, es auf neue Denkgrundlagen zu stellen.

Versteht man nun, in unserem Sinne, unter „anderem Wirtschaften“ die Produktion der gesellschaftlich notwendigen Lebensbedingungen jenseits des Marktes, so können derzeit Inselprojekte der Commons realisiert werden. Diese kann man gezielt zueinander in Beziehung setzen (vernetzen) und institutionell, rechtlich wie politisch stärken. Einfache Beispiele: Landfreikauf für Commons. Lehrmittelproduktion als Commons usw.

Welche Lösungsansätze gibt es, wenn es kein oder geringes Wachstum gibt?

Der Auf- und Ausbau der commonsbasierten und -schaffenden Peer-Produktion (Commons Creating Peer Economy) ist ein konkreter und in Inselform auch bereits praktizierter Lösungsansatz. Die Grundidee ist – kurz gesagt – die bedürfnisorientierte Produktion und Nutzung jenseits der Verwertungsorientierung nach selbstbestimmt gesetzten Regeln.

INNOVATION/TECHNOLOGIE

Welche Art von Innovationen sind notwendig, um im globalen Wettbewerb zu bestehen (auch in Zeiten geringeren Wirtschaftswachstums)? (technologische, soziale, systemische Innovation, etc.)

Das ist eine dieser unhinterfragten Grundannahmen: Das Mantra der „Wettbewerbsfähigkeit“! Diese Frage stellt sich jedoch im Commons-Paradigma nicht, da hier Kooperation statt Konkurrenz die Motivatoren der Produktion sind. Im herrschenden Paradigma bedeutet jedes Bestehen des einen den Niedergang eines anderen – insbesondere unter Bedingungen, wo negative Konsequenzen nicht mehr durch vergrößertes Wirtschaftswachstum kompensierbar sind. Wir würden also vorschlagen, die Frage zu hinterfragen.

Wie lassen sich bekannte, vielversprechende Technologien verbreiten, bzw. gewünschtes soziales und individuelles Verhalten umsetzen?

Im Commons-Paradigma lassen sich vielversprechende Technologien durch Offenlegung des Wissens und kollaborative Produktion (Hackerspaces, Offene Werkstätten, Fab Labs, Freie Software, Open Eduational Resources, Open Design, Open Hardware, Repair-Cafés usw.) verbreiten. Wissen wird konsequent geteilt. Exklusive Urheberrechte und Patente sind in dieser Perspektive kontraproduktiv bzw. überflüssig. Zugängliches Wissen für alle ermächtigt darüber hinaus die Menschen, die Produktion der notwendigen Güter in die eigenen Hände zu nehmen. Der Übergang vom bloßen Konsumenten zum Prosumenten verändert auch das individuelle Verhalten in Richtung größerer Verantwortung für die Konsequenzen des eigenen Tuns. In anderen Worten: Es entsteht eine intensivere Beziehung zwischen Mensch und „Produkt“. Handwerkskunst im besten Sinne kann hier eine Reflexionsfolie bieten.

Wie wirkt sich das auf die Kostenstruktur und die Verteilung aus, wer sind die Gewinner/Verlierer?

Freies Wissen entwertet bestimmte Sektoren der Ökonomie. Dies ist für die einen eine reale Kosteneinsparung, während sie für andere den Entzug der Existenzgrundlage bedeutet. Gewinner sind also die Aneigner und Nutzer des freien Wissens – auch jene mit Verwertungsinteressen, denn Google nutzt freies Wissen genauso wie ein Abiturient, nur zu anderen Zwecken. Verlierer sind ihre Produzenten im klassischen ‘Arbeit-für-Geld’ Modus.

Wo entstehen wichtige Innovationen? Key players? Erfolgsfaktoren?

Die wichtigsten Innovationen entstehen dort, wo Menschen tun können, was sie „wirklich, wirklich wollen“ (Fritjof Bergmann), wo sie ihre produktiven Bedürfnisse frei entfalten und sich nicht den vielfachen (nicht nur monetären) Zwängen der Marktlogik unterwerfen müssen. Sie entstehen dort, wo Menschen etwas um seiner selbst willen tun und dafür Zeit und Freiraum haben.

Welchen Stellenwert hat für Sie technischer Wandel?

Sofern Technik in der Verfügung aller Menschen liegt (also grundsätzlich offen und modular ist), sofern es also keinen Ausschluss durch Urheberrechte und Patente gibt, birgt technische Entwicklung große Potenziale zur Lösung der globalen Menschheitsprobleme. Unter den Bedingungen von Ausschluss und Verwertung hat Technik hingegen ein Doppelgesicht: Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil Technik Mittel zur Produktivitätssteigerung ist (mit all den sozialen und ökologischen Konsequenzen), Segen, weil Produktivitätssteigerungen genutzt werden könnten, um sinnlose Arbeit überflüssig zu machen. Der Ausgangspunkt muss sein: Welches Konzept von Technik wollen wir in welchem gesellschaftlichen Kontext verwirklicht sehen? Die Bezugnahme auf „konvivialen Technik“ (Ivan Illich) kann hier eine wichtige Rolle spielen.

Welche politischen Maßnahmen sind notwendig, um technischen Wandel zu fördern?

Es seien nur einige Beispiele genannt:

  • Einführung von Grundsätzen konvivialer Technologien in der Grundlagenforschung, der Förderung von Forschung und Entwicklung und im öffentlichen Beschaffungswesen
  • Abschaffung oder erhebliche Begrenzung von Immaterialgüterrechten
  • Weniger Technologietransfer und mehr Bildung für lokale Entwicklung freier und angepasster DIY-Technologien
  • Konsequente Förderung und Implementierung freier Infrastrukturen
  • Förderung von Public-Citizen-Partnership statt Public-Private-Partnership
  • Im kommunalen Bereich innovative Raum- (Zwischen-)Nutzungen für Repair-Cafés, FabLabs, offene Werkstätten, Low-Tech-Lösungen
  • Freie und konviviale Technologien an die Schulen
  • Entwicklung von FabCities nach dem Vorbild von Barcelona

Welche Rolle spielen für Sie die Arbeitsproduktivität und die Ressourcenproduktivität, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen?

Die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit kann kein Ziel sein. Siehe oben.

Für eine commonsbasierte und -schaffende Öikonomie ist Ressourcenproduktivität wichtig, während die Arbeitsproduktivität nicht entscheidend ist. Hier kann weniger ‘Arbeitsproduktivität’ im klassischen Sinne sogar die Qualität und Sinnerfüllung in der produktiven Tätigkeit erhöhen. Jeder, der sich über die Zugewandheit eines Hausarztes freut, der sich Zeit für seine Patienten nimmt (obwohl er sie nicht abrechnen kann), wird das nachempfinden.

Welche Maßnahmen sind notwendig, um im globalen Wettbewerb genügend Arbeitskräfte mit passenden Qualifikationen zu haben?

Diese Frage impliziert, dass der globale Wettbewerb eine akzeptable Rahmengröße ist, an der sich das Handeln orientieren sollte. Sie zementiert damit Grundannahmen, die hinterfragt werden müssen.

Im Commons-Paradigma werden die Qualifikationen entwickelt, die den Entfaltungsbedürfnissen der beteiligten Menschen entsprechen – und nicht die, die ein anonymer und abstrakter Markt als Anforderung stellt.

Wie lassen sich Maßnahmen im Bereich Wettbewerbsfähigkeit/Innovationen und technischer Wandel in Zeiten leerer Staatskassen finanzieren?

Die Staatskassen sind offensichtlich nicht leer, wenn es um die Rettung von Banken geht. Daher wäre die Überprüfung der Denkgrundlagen, auf denen gängige Förderprogramme fußen, die vermutlich reichste Quelle für die Verflüssigung von Mitteln. In Zeiten des Umbruchs kann der Staat tatsächlich eine aktive Rolle für die Entmarktlichung der Produktion spielen, in dem er Commons-Projekte in vielfältiger Weise unterstützt (siehe oben). Allerdings wäre dieses Handeln eines, das aus dem Wettbewerbsdenken auf Kosten von anderen aussteigen müsste: Das wiederum richtet sich gegen eine Logik des Staatshandelns, das fast ausschließlich auf erfolgreiche Unternehmenstätigkeit für fließende Steuereinnahmen setzt. Wo sind die politischen Akteure, die solche kontraintuitiven Ziele vertreten?

Wie wirkt sich geringes Wachstum auf Innovationen aus?

Wie beschrieben ist aus Commons-Perspektive kein signifikanter Zusammenhang zwischen ökonomischem Wachstum und Innovation zu erkennen. Innovationen finden dann statt, wenn es den Menschen ein Bedürfnis ist ein Problem zu lösen oder ein Projekt voranzutreiben (auch der Zufall spielt eine Rolle) und wenn sie die Möglichkeiten und Mittel dazu haben. Mittel zur gezielten Innovationsförderung oder zur Öffnung von Freiräumen können auch aus brachliegenden materiellen Ressourcen kommen, die wegen zu niedriger Produktivität oder anderen Gründen außer Produktion gestellt wurden.

Jena/Bonn, den 25. November 2014

Silke Helfrich und Stefan Meretz

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