Arbeitsteilung, aber wie?

Rinder auf der Al(l)m(ende) (Foto von MadeleineSchäfer, CC-BY-SA, URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Weidende_Rinder_auf_der_Alm.JPG – zum Vergrößern klicken)(Voriger Artikel: Was ist Arbeit?)

Die kapitalistische Realität: Arbeit als schwer zu erfüllende Pflicht

Eine Möglichkeit der Arbeitsteilung kennen wir aus dem Kapitalismus: individuelle Arbeit als gesellschaftliche Existenzbedingung bei gleichzeitiger Konkurrenz um Arbeitsmöglichkeiten. Die meisten Menschen müssen heute arbeiten, um volle gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten zu erhalten und „Arbeitslosigkeit“ kann sogar existenzbedrohend werden (je nach Umfang der gesellschaftlichen Sicherungssysteme in dem Land, in dem man lebt). Gleichzeitig findet man Arbeitsmöglichkeiten nicht einfach wie Beeren im Wald, sondern muss sich um jede erst einmal „bewerben“ und sich dabei gegen andere durchsetzen, die sie ebenfalls wollen. Ähnlich wie beim Spiel „Reise nach Jerusalem“ ist es üblicherweise so, dass einige auf der Strecke bleiben und keinen „Arbeitsplatz“ bekommen. Schließlich können bei Konkurrenz definitionsgemäß nicht alle gewinnen und keinerlei gesellschaftliche Mechanismen sorgen dafür, dass es genug Arbeitsmöglichkeiten für alle gibt, die arbeiten wollen bzw. müssen.

Man kann hier von „Arbeit als schwer zu erfüllender Pflicht“ reden – einerseits ist Arbeit Pflicht, da man ohne kaum überleben (oder jedenfalls nicht gut leben) kann, andererseits „darf“ nur arbeiten, wer es schafft, andere im gesellschaftlichen Konkurrenzkampf auszustechen.

Reine Freiwilligkeit und ihre Tücken

Eine radikal anderer Ansatz ist, beim Aufteilen der Arbeit völlig auf Regeln zu verzichten und stattdessen auf reine Freiwilligkeit zu setzen, wie ich es in meinem utopischen Text Freie Quellen oder wie die Produktion zur Nebensache wurde (Siefkes 2013) jedenfalls weitgehend annehme. Alle nützliche Arbeit/N findet hier entweder nach dem Lustprinzip, aus Verantwortungsgefühl oder als (gemeinsame) Eigenarbeit statt.

Eigenarbeit ist Arbeit, die man macht, weil ihre Ergebnisse einer mindestens zum Teil selbst zugute kommen – etwa das Klo in der eigenen WG putzen, die eigene Wohnung streichen, sich mithilfe einer öffentlichen CNC-Werkstatt ein Bett zusammenbauen oder einen Bug (Fehler) in einem Programm beheben, der die eigene Nutzung des Programms behindert. Eric Raymond (2001) nennt dies „scratching an itch“ – sich da kratzen, wo es eine juckt. Die Ergebnisse der Eigenarbeit können dabei durchaus auch anderen zugute kommen: die Mitbewohner freuen sich über das geputzte Klo; der Bugfix nutzt auch anderen, die unter dem Fehler gelitten haben.

Arbeit nach dem Lustprinzip ist nützliche Arbeit/N, die zugleich auch Selbstzweck (Arbeit/S) ist – man macht sie um ihrer selbst willen, aus Freude an der Tätigkeit, nicht nur als Mittel zum Zweck. Schließlich kann man auch aus Verantwortungsgefühl einen Teil der nötigen Arbeit/N übernehmen: man hat vielleicht keine Lust darauf und sie kommt einer auch nicht direkt selbst zugute, aber man macht sie trotzdem, weil man sie für nötig hält. Weil man nicht möchte, dass Kranke ohne Pflege bleiben, das Getreide auf dem Feld verrottet oder die Post wochenlang liegen bleibt.

Arbeit/N aus Verantwortungsgefühl zeigt, dass reine Freiwilligkeit, selbst wenn sie gesellschaftlich funktioniert (alles Wesentliches wird erledigt), nicht unproblematisch ist. Wenn einige ständig Dinge tun, auf die sie eigentlich keine Lust haben, um so den Laden am Laufen zu halten, während andere nur das tun, worauf sie Lust haben oder wonach es sie „juckt“, wären die Lasten sehr ungleich verteilt. Ein gesellschaftliches Ideal kann dies kaum sein.

Auch das Moment der Eigenarbeit hat seine Probleme. Wenn ich etwas möchte, warum soll ich mich erst damit beschäftigen müssen, wie es gemacht wird? Was, wenn ich etwas brauche, aber nicht die nötigen Fähigkeiten habe, mich um seine Herstellung zu kümmern? Funktionierende Strukturen für gemeinsame Eigenarbeit, die die Hürden soweit senken, dass niemand daran scheitert, setzen zumindest äußerst hoch entwickelte Produktivkräfte voraus, bei denen nahezu vollautomatisch arbeitende Maschinen dezentral allen zur Verfügung stehen und quasi auf Knopfdruck die unterschiedlichsten nützlichen Dinge herstellen können. Wie ich in Dank Produktivkraftentwicklung zur neuen Gesellschaft? erörtert habe, ist die Hoffnung auf die „richtige“ Produktivkraftentwicklung als Voraussetzung für eine bessere Gesellschaft aber problematisch, da eine Entwicklung in die richtige Richtung keineswegs garantiert ist.

Und selbst wo gemeinsame Eigenarbeit möglich ist, ist sie nicht unbedingt die beste Lösung. Vielleicht braucht eine zentralisierte Produktion weniger Rohstoffe und bindet weniger Zeit, in der die Menschen stattdessen lieber anderes tun würden? „Was du auch machst, mach es nicht selbst / […] Eigenbau [stiehlt] dir deine schöne Zeit / […] Wer zu viel selber macht, der macht sich krumm“, singt die Band Tocotronic (2010).

Das sind keine zwingenden Argumente gegen reine Freiwilligkeit, allerdings müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Zunächst sollte der Modus der Freiwilligkeit nicht zu solchen Reibungsverlusten führen, wie in dem Tocotronic-Song angedeutet – Zeitverschwendung, unnötige Härten oder erzwungender Verzicht für diejenigen, die etwas selber machen müssen, weil niemand anders es für sie erledigt.

Und natürlich muss die Freiwilligkeit auch erst einmal funktionieren, sprich es müssen sich genug Freiwillige zumindest für alle essenziellen Tätigkeiten finden. Eine Gesellschaft, deren Bewohnerinnen hungern, weil die Ernte auf den Feldern verrottet, frieren, weil die Energieversorgung nicht sichergestellt ist, oder mangels funktionierender medizinischer Versorgung an eigentlich leicht heilbaren Krankheiten zu sterben drohen, wird sich zwangsläufig etwas anderes überlegen.

Aber selbst wenn äußerlich alles zu funktionieren scheint, ist nicht unbedingt alles in Butter. Die Frage ist auch, wer sich warum und unter welchen Umständen freiwillig betätigt. Gibt es einige, die bis zur Erschöpfung ackern, weil sie verhindern wollen, dass ein bestimmter Bereich zusammenbricht? Oder die ständig Dinge tun, auf die die eigentlich keine Lust haben, weil sie nicht wollen, dass sie liegen bleiben? Gibt es einige, die nur machen, wozu sie Lust haben, und andere, die aus Verantwortungsgefühl der Gesellschaft und den anderen gegenüber den auch für sie unliebsamen Rest erledigen? In solchen Fällen wäre die gesellschaftliche Arbeitsaufteilung ganz und gar nicht in Ordnung, auch wenn nominell alle freiwillig handeln.

Reine Freiwilligkeit ist dann der ideale Modus, wenn es wirklich keine Arbeit/M (Arbeit als Mittel zum Zweck) mehr gibt, sondern alles, was gesellschaftlich nötig ist, zugleich auch etwas ist, das jemand gerne und mit Vergnügen tut. Sie kann auch dann gut funktionieren, wenn die gesellschaftliche Aufgabenverteilung so eingespielt ist, dass sich alle oder viele die noch verbleibende Arbeit/M (die „unangenehmen Aufgaben“) spontan oder nach Absprache auf faire Weise aufteilen, so dass sie nicht Einzelne besonders belastet.

Das sind keine unerfüllbaren Voraussetzungen, aber sie sind auch nicht gerade klein. Ein Sprung direkt aus dem Kapitalismus mit seinem Modell der Arbeit als schwer erfüllbarer Pflicht in eine Gesellschaft, die die reine Freiwilligkeit erfolgreich praktiziert und dabei auch unfaire Belastungen und Härten für Einzelne vermeidet, scheint daher wenig plausibel. Wäre das nicht gesellschaftlich ein ähnlich radikaler Sprung wie technologisch die Vorstellung, eine Gesellschaft, die bislang nur das manuelle Abschreiben von Manuskripten kannte, hätte auf einen Schlag den Transistor, den Heimcomputer und die dadurch ermöglichte verlustfreie Digitalkopie erfinden können, ohne sich zunächst mit „Übergangstechniken“ wie dem Buchdruck herumschlagen zu müssen?

Arbeitsaufteilung in traditionellen Commons

Als Modell zwischen der tristen kapitalistischen Realität und der kühnen Vision reiner Freiwilligkeit kann man die Arbeitsaufteilung in traditionellen Commonsprojekten betrachten. Hier werden die Lasten, also insbesondere die anfallende Arbeit, unter den Commoners aufgeteilt. Und zwar typischerweise ungefähr proportional zum jeweiligen Nutzen, den diese aus dem Commons ziehen. (Also gleichmäßig wenn alle dieselben Nutzungsmöglichkeiten haben.)

So darf auf den von Elinor Ostrom (1990: 62ff) betrachteten Schweizer Almen keine Bauernfamilie mehr Tiere auf der Alm weiden lassen als sie im Winter füttern kann. Die notwendigen Unterhaltungsarbeiten werden proportional auf Anzahl der auf die Weide geschickten Tiere geteilt.

Bei der Nutzung von Holz aus den kommunalen Wäldern werden Kosten und Nutzen per Losverfahren verteilt. Die nutzungsberechtigten Haushalte setzen sich zusammen und definieren zunächst möglichst gleichmäßige Arbeitspakete in Bezug auf das Fällen der Bäume und den Abtransport des Holzes. Dann wird gelost, welcher Haushalt welches Arbeitspaket übernimmt (Ostrom 1990: 65).

In japanischen Allmendeländerei wurden die für die Pflege der Bestände notwendigen Arbeiten gleichmäßig unter allen nutzungsberechtigten Haushalten aufgeteilt. An den für die kommunale Arbeit festgelegten Tagen musste jeder Haushalt eine arbeitsfähige Person entsenden. Auch hier kam das Losverfahren bei der Zuteilung unterschiedlicher Arbeitsgebiete an Gruppen von Haushalten zum Tragen. Eine Entbindung von der Arbeitspflicht war nur in Ausnahmefällen möglich, z.B. bei Krankheit oder Unglücksfällen in der Familie oder wenn es im Haushalt keine arbeitsfähigen Erwachsenen gab. Die Einhaltung der vereinbarten Regeln wurde von den Commoners selbst überwacht – in manchen Orten rotierten die Kontrolleursposten ebenfalls per Los unter den beteiligten Männern (Ostrom 1990: 66ff).

In einem philippinischen Allmende-Bewässerungssystem erhält jeder Beteiligte einen proportionalen Anteil (atar genannt) an dem bewirtschafteten Land; Gruppen von Beteiligten sind in zanjeras zusammengeschlossen. Für die zu erledigenden Arbeiten (insbesondere Reparatur und Erneuerung von Dämmen sowie Wartungsarbeiten) stellen die fünf größten zanjeras je ein Arbeitsteam, die vier kleineren je ein halbes. Die Arbeit wird unter diesen sieben Teams aufgeteilt. Die zanjeras teilen die Arbeiten ihrerseits gleichmäßig auf die atars auf – im Schnitt hat jeder von ihnen 53 Arbeitstage pro Jahr für größere Renovierungs- und kleinere Wartungsarbeiten zu erbringen. Die Aufteilung von Kosten und Nutzen auf die zanjeras ist weitgehend proportional: die drei größten tragen 48% an Arbeit und Material bei und erhalten 55% des Wassers, die drei mittleren tragen 30% bei und erhalten 25%, die drei kleinsten tragen 22% bei und erhalten 20% (Ostrom 1990: 82).

Auf den ersten Blick mag diese commonale Arbeitsaufteilung dem kapitalistischen Modell ähnlich erscheinen, da man ebenfalls arbeiten muss, um teilhaben zu können, und da Geben (Beiträge) und Nehmen (Nutzung) ungefähr proportional zueinander sind. Letzteres entspricht nicht der kapitalistischen Realität, wohl aber ein Stück weit der Ideologie, wonach die „Leistungsfähigsten“ und “-willigsten” am weitesten kommen. Neben dem Auseinanderklaffen von Realität und Ideologie gibt es aber noch weitere wesentliche Unterschiede, zum einen den, dass es keine Konkurrenz um Arbeit gibt. Arbeit ist in den Commons keine schwer, sondern eine relativ leicht zu erfüllende Pflicht, da die zu erledigenden Aufgaben aufgeteilt werden (oft per Los, um Willkür zu verhindern), so dass sich niemand erst mit ungewissem Ausgang gegen andere durchsetzen muss. Niemand muss also fürchten, auf der Strecke zu bleiben – einerseits arbeiten zu müssen, andererseits aber keine Gelegenheit dazu zu finden.

Das bedeutet auch ein sehr anderes Verhältnis der Produzenten zueinander. Firmen stellen in den meisten Fällen erst im Nachhinein fest, ob sie die produzierten Waren verkaufen können und damit einen Beitrag zur gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung geleistet haben (wenn nicht, droht der Firma die Pleite und ihren Beschäftigten die Arbeitslosigkeit mit entsprechendem Einkommensverlust). Dagegen wissen Commoners von Anfang an, dass ihre Arbeit gebraucht wird.

Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass die Commoners – die die Arbeit machen und zugleich das dadurch reproduzierte Commons nutzen – selbst die Regeln festlegen, die ihre Rechte und Pflichten festschreiben. Sie entscheiden also selbst darüber, ob es eine Beteiligungspflicht gibt, wie genau diese aussieht, wie Arbeitspakete gebildet und aufgeteilt werden, wer was in welchem Umfang nutzen darf etc. Im Gegensatz dazu ist der Markt im Kapitalismus eine scheinbar fremde und effektiv unerbittliche Macht, der die Einzelnen gegenüberstehen, ohne die hier herrschenden Regeln gewählt zu haben oder beeinflussen zu können.

Andererseits fehlt dem traditionellen Commonsmodell im Vergleich zur kapitalistischen Arbeitsaufteilung – und erst recht zur reinen Freiwilligkeit – das Moment der „freien Berufswahl“. Im Kapitalismus sind alle relativ frei, sich um eine Ausbildung und anschließende Beschäftigung in einer Tätigkeit zu bemühen, die sie besonders interessiert oder ihnen besonders liegt (wenn auch beschränkt durch die Unsicherheiten der Konkurrenz sowie hohe Kosten oder harte Selektionskriterien bei manchen Ausbildungen). Dagegen sind bei den traditionellen Commons die Tätigkeiten weitgehend vorgegeben und können von den Einzelnen kaum frei ausgewählt werden.

Keines dieser Arbeitsteilungsmodelle kann also rundherum überzeugen. Im nächsten Artikel werde ich ein Modell vorschlagen, das positive Elemente der commonalen Arbeitsteilung und der reinen Freiwilligkeit aufgreift und ihre jeweiligen Schwachpunkte zu vermeiden versucht.

(Fortsetzung: Das Freiwilligenspiel)

Literatur

  • Ostrom, Elinor (1990): Governing the Commons. New York: Cambridge University Press. Deutsche Übersetzung: Die Verfassung der Allmende. Tübingen: Mohr, 1999.
  • Raymond, Eric S. (2001): The Cathedral & the Bazaar. 2. Aufl. Sebastopol: O’Reilly.
  • Siefkes, Christian (2013): Freie Quellen oder wie die Produktion zur Nebensache wurde. In jour fixe initiative berlin (Hg.): „Etwas fehlt“ – Utopie, Kritik und Glücksversprechen. Münster: edition assemblage. URL: keimform.de/2013/freie-quellen-1/
  • Tocotronic (2010): Macht es nicht selbst. Album: Schall & Wahn.

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