Arbeit, Spiel und Selbstentfaltung

Sisyphus arbeitet gar nicht, denn was er tut, hat keinen ZweckNachdem es zu den von mir vorgeschlagenen unterschiedlichen Definitionen von „Arbeit“ viel Kritik gab, hier ein neuer Versuch, die überhistorische Dimension dieses Begriffs in den Griff zu kriegen. Ich hatte damals die Definition des Gabler Wirtschaftslexikon (2014) als „zu breit“ kritisiert, doch scheint mir, man kann sie retten, indem man einen Zusatz einfügt, der sie vom „zweckfreien“ Spiel (und ähnlichen Tätigkeiten) abgrenzt. Zu diesem Zweck möchte ich folgende Definition vorschlagen:

Arbeit: jede zielgerichtete, soziale, planmäßige und bewusste Tätigkeit, deren Zweck (Ziel) sich nicht im Tätigsein selbst erschöpft.

Arbeit unterscheidet sich also zunächst von Tätigkeiten, die überhaupt kein Ziel haben oder rein instinktiv erfolgen. Karl Marx schreibt dazu:

Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. (MEW 23: 193)

Was hat es mit dem Adjektiv „sozial“ (also gesellschaftlich, auf die Gesellschaft bezogen) in der Definition auf sich? Was bedeutet es für Eigenarbeit, also Arbeit, deren Ergebnis in erster Linie mir selber zugute kommt, etwa das Aufbauen eines Ikea-Regals, in das ich meine Bücher stellen will, oder das Abspülen des Geschirrs, von dem ich morgen wieder essen will? Wird sie zur Nicht-Arbeit erklärt, weil ihr die soziale Komponente fehlt? So sieht es Helmut Leitner, doch mir leuchtet diese Unterscheidung nicht ein, da dann ein und dieselbe Tätigkeit mal Arbeit und mal Nicht-Arbeit wäre, je nachdem wer ihr Nutznießer ist. Und das, ohne dass sich an der Tätigkeit und der Einstellung der Handelnden zu ihrem Tun irgendetwas ändern müsste.

Ich würde das „sozial“ stattdessen so auffassen, dass Handelnder und Nutznießer potenziell unterschiedliche Personen sein können, auch wenn sie im konkreten Einzelfall zusammenfallen. Es könnte ja auch jemand anders das Regel aufbauen oder das Geschirr abspülen, und dann würde es sich eindeutig um Arbeit handeln. Daher bleibt es auch Arbeit, wenn ich es selber mache.

Wenn Nutznießerin und Handelnde hingegen zwingend dieselbe Person sind, fehlt dieser soziale Aspekt, so dass man nicht von Arbeit sprechen kann. So etwa, wenn ich als Zuschauer zu einem Fußballspiel fahre, das ich mir ansehen will. Ohne dort zu sein, könnte ich das Spiel auch nicht sehen (jedenfalls nicht „in echt“), daher kann mir die Fahrt niemand abnehmen. Fahre ich hingegen zur Bibliothek, um ein Buch abzuholen, das ich lesen will, handelt es sich um Arbeit, denn das Abholen des Buchs könnte auch jemand anders für mich erledigen. (Den Hinweis auf diesen Unterschied verdanke ich meinem Bruder Martin.)

An der Gabler-Definition stört mich, dass sie sehr umfassend ist und etwa auch Spiele jeder Art zu „Arbeit“ zu erklären scheint. Die obige Definition vermeidet dies durch den Zusatz, dass der Zweck der Tätigkeit über das bloße Tätigsein hinausgehen muss. (Möglicherweise wird das auch durch das Adjektiv „sozial“ schon ausgedrückt, doch kann es nichts schaden, es explizit zu machen.) Bei „Spielen“, die der Unterhaltung anderer dienen – Theaterspiel, Profisport – ist dies der Fall. Profisportlerinnen und Schauspieler arbeiten, um die Zuschauerinnen zu unterhalten oder zu bilden. (Deshalb wäre es auch Arbeit, wenn ich nicht als Zuschauer, sondern als mitspielender Profi zum Stadion fahren würde, da Vorbereitungen für Arbeit selbst schon Arbeit sind.)

Anders sieht es beim „zweckfreien“ Spiel aus, das eine Gruppe von Personen oder eine Einzelperson nur für sich spielt. Natürlich ist auch dieses nicht wirklich zweckfrei (daher die Anführungszeichen), doch liegt der Zweck im Tätigsein selbst – die Beteiligten spielen, um sich zu entspannen, sich zu unterhalten oder sich die Zeit zu vertreiben. Würden sie nicht selbst spielend tätig, träte dieser Effekt nicht ein (im Gegensatz zum Theaterzuschauer, der anderen das Tätigsein überlässt). Hier handelt es sich also nicht um Arbeit (gemäß der obigen Definition), sondern um etwas, das man um seiner selbst willen tut.

Wie ist es nun mit der Selbstentfaltung, die ja in Keimform-Diskussionen traditionell eine wichtige Rolle spielt? Meiner Ansicht nach kann man sinnvollerweise von Selbstentfaltung sprechen, wenn Arbeit und Spiel zusammenkommen. Also bei Tätigkeiten, die einen Zweck haben, der über das bloße Tätigsein hinausgeht und zumindest potenziell anderen zugute kommt, die man aber auch gerne macht, aus Lust am Tun (auch wenn sie durchaus anstrengend sein können, wie auch andere Spiele, z.B. im Hobbysport).

Franz hat gegen meine ursprüngliche Definition von Arbeit/S (selbstentfaltete Arbeit) als „nützliche Arbeit, die auch Selbstzweck“ ist, eingewandt, dass es durchaus das Wissen um die Zweckhaftigkeit bzw. Nützlichkeit der Arbeit sein kann, das einen motiviert, sie gerne und mit Genuss zu tun. Das ist sicher richtig: dass man eine Tätigkeit genießt, kann durchaus eine Konsequenz davon sein, dass man um ihren Nutzen für andere weiß. Andererseits kann der so entstehende Nutzen auch ein eher zufälliger Nebeneffekt einer „spielerischen“ Tätigkeit sein, die die Tätigen auch gerne und mit Befriedigung tun würden, wenn es diesen Nebeneffekt nicht gäbe.

Literatur

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