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Zwei Arten von Gebrauchswert?

Auch in nicht besonders marxologisch bewanderten Kreisen wird gerne von »Gebrauchswert« und »Tauschwert« gesprochen. Mit »Gebrauchswert« ist in der Regel der sinnlich-nutzbaren Gegenstand gemeint, während der »Tauschwert« meist eine gesellschaftliche Größe bezeichnen soll, die — nomen est omen — erst im Tausch auftritt. Diese Sicht wird oft zusätzlich mit der Annahme verbunden, dass der Gebrauchswert in allen Gesellschaften existiert (also »überhistorisch« ist), während der Tauschwert nur im Kapitalismus vorkommt oder zumindest nur dort dominant (und somit »historisch-spezifisch«) ist. Dem hat Marx himself erheblichen Vorschub geleistet, als er im Kontext des Gebrauchswerts locker von »ewiger Naturnotwendigkeit« sprach.

Damit hat sich Marx in die Grütze geritten, meint Ernst Lohoff und erklärt ziemlich plausibel [1], was ich immer schon vermutete:

»Was den Gebrauchswert angeht, so verwickelt sich Marx innerhalb seiner Darstellung im Kapital in einen handfesten Widerspruch. In der Anfangspassage des Kapitals ist zu lesen: „Gebrauchswerte bilden den stofflichen Inhalt des Reichtums, welches immer seine gesellschaftliche Form sei. In der von uns zu betrachtenden Gesellschaftsform bilden sie zugleich die stofflichen Träger des – Tauschwerts“ (MEW 23, S. 50). Hier wird also Gebrauchswert als ein anderes Wort für von Menschen geschaffenen sinnlich-stofflichen Reichtum gefasst und damit als eine überhistorische Größe verstanden. Auf späteren Stufen der Darstellung im 1. Band des Kapitals behandelt Marx aber zwei Waren, bei denen seine Analyse zutage fördert, dass sie neben ihrem sinnlich-stofflichen Gebrauchswert auch noch einen zweiten, übersinnlichen, rein gesellschaftlichen Gebrauchswert haben, der in der bürgerlichen Ökonomie auch ihr wesentlicher Gebrauchswert ist. Das gilt zunächst einmal für die ausgesonderte allgemeine Ware, das Geld. Indem Gold zu Geld wird, bekommt es den Gebrauchswert, Wert in der Form der unmittelbaren Austauschbarkeit zu repräsentieren. Dieser Gebrauchswert hat weder stofflichen Charakter noch ist er überhistorisch. Die Arbeitskraft wiederum hat neben dem Gebrauchswert, bestimmte Güter (Leinwand, Rock) hervorzubringen, den Gebrauchswert, Profit und Mehrwert zu erzeugen, und dieser Gebrauchswert, der den Kapitalisten allein interessiert, ist ebenfalls rein gesellschaftlich in einem historisch-spezifischen Sinne. Im 3. Band des Kapitals geht Marx auf den seltsamsten Warentypus ein, den der Kapitalismus überhaupt hervorbringt: das als Ware gehandelte Geldkapital. Diese Ware, da macht Marx überhaupt kein Geheimnis, hat überhaupt nur einen rein gesellschaftlichen Gebrauchswert. Wer sich etwa Geld leiht, dem wird dieses „als Wert, der den Gebrauchswert besitzt, Mehrwert, Profit zu schaffen“ ausgehändigt (MEW 25, S. 355). Das passt erst recht nicht zu der im 1. Kapitel des Kapitals behaupteten Identität von Gebrauchswert und sinnlich-stofflichem Reichtum. Diese Inkonsistenz in der Marx’schen Argumentation lässt sich ohne Weiteres beseitigen. Man muss sich an das halten, was Marx im Fortgang seiner Darstellung faktisch macht, und sich von der Identität von Gebrauchswert und sinnlich-stofflichem Reichtum und damit von einem überhistorischen Gebrauchswertbegriff verabschieden. Der Gegensatz von Gebrauchswert und Tauschwert ist kein Gegensatz zwischen einer überhistorischen und einer spezifischen kapitalistischen Kategorie, sondern ein Binnengegensatz innerhalb der Wertbeziehung.« (Ernst Lohoff, Auf Selbstzerstörung programmiert, S. 23, Fußnote 9 [1])

Was heißt das? Der Gebrauchswert ist nicht zu retten. Er ist nicht das »Gute«, das nur sein schlechtes Gegenüber, den Tauschwert loswerden müsse, und alles wird gut. Gebrauchswert und Tauschwert sind zwei Seite der gleichen Medaille, die aus der Warenproduktion resultieren. Wir werden sie nur zusammen los oder gar nicht. Und das geht nur durch eine neue Produktionsweise jenseits der Warenform. Dito gilt dann auch für die Arbeit:

»Wer den Gebrauchswert als überhistorische Kategorie interpretiert, muss natürlich auch jene menschliche Praxis, die Waren hervorbringt, die Arbeit also, in entsprechender Weise aufspalten. Arbeit gilt dementsprechend im ersten Kapitel des Kapitals ausschließlich in ihrer Bestimmung als abstrakte Arbeit, als tauschwertsetzende Arbeit, als etwas spezifisch Kapitalistisches. Die konkrete Arbeit soll es dagegen unterschiedslos in allen Gesellschaftsformationen geben. In den Frühschriften hatte Marx noch ganz andere Töne angeschlagen und hat die Arbeit als solche ebenso vehement wie zutreffend angegriffen: „Die Arbeit ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit.“ (Karl Marx: Über Friedrich Lists Buch „Das Nationale System der Politischen Ökonomie“, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 14. Jg., Heft 3 1972, S. 436) Statt diesen Frontalangriff im Kapital fortzuführen und kategorial zu präzisieren, hat Marx seine Kritik entschärft und den Arbeitsbegriff in einer der herrschenden Arbeitsreligion angepassten Weise verwendet. Dabei lässt sich die Differenzierung zwischen tauschwert- und gebrauchswertsetzender Arbeit ohne Weiteres auch von einem Standpunkt formulieren, der Arbeit, wie Marx in den Frühschriften, als die spezifisch kapitalistische Tätigkeitsform fasst. Beim Gegensatz von konkreter und abstrakter Arbeit handelt es sich um einen Binnengegensatz innerhalb des Wertverhältnisses. Beide Pole, sowohl konkrete Arbeit als auch abstrakte Arbeit, existieren nur innerhalb der Wertbeziehung.« (Ernst Lohoff, Auf Selbstzerstörung programmiert, S. 24, Fußnote 10 [1])

Guter Artikel von Lohoff — Leseempfehlung!