- keimform.de - https://keimform.de -

Parecon versus Peer-Produktion Teil 1

Contraste-Logo [1][In den letzten Monaten habe ich mit Michael Albert [2] über Peer Produktion und Participatory Economics, kurz Parecon [3], als Konzepte einer möglichen Produktionsweise von morgen diskutiert. Brigitte Kratzwald hat erfreulicherweise begonnen, die englischsprachige Diskussion in gekürzter Form ins Deutsche zu übertragen und nach und nach in der Contraste [1] zu veröffentlichen. Dieser erste Teil ist in der Märzausgabe [4] erschienen, weitere werden folgen. Die ganze Diskussion auf Englisch ist bei ZNet [5] nachzulesen. Für die Übersetzung herzlichen Dank an Brigitte, die diesen Beitrag auch schon auf ihrem Blog [6] veröffentlicht hat!]

Michael Albert: Beschreibung von Parecon

Parecon beschreibt Institutionen für eine ökologisch fundierte und klassenlose Wirtschaft, die Solidarität, Gleichheit und Sebstverwaltung stärkt. Dabei sind selbstverwaltete Arbeiter- und Konsumentenräte der zentrale Ort, an dem wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden.

Selbstverwaltung bedeutet, dass Personen und Gruppen in dem Ausmaß Entscheidungen beeinflussen können, wie sie von diesen betroffen sind. Ist hauptsächlich eine Person betroffen, entscheidet diese alleine, auf der Basis von übergeordneten Richtlinien, die im breiten Konsens beschlossen wurden. Ist ein Arbeitsteam betroffen, entscheidet dieses, ebenfalls unter Beachtung dieser übergeordneten Richtlinien.

Der zweite wichtige Aspekt von Parecon ist die Frage der Entlohnung. Es wird weder Macht noch Eigentum belohnt und auch nicht ausschließlich der persönliche Output. Alle bekommen den ihren Bedürfnissen entsprechenden Anteil am Sozialprodukt; auch diejenigen, die nicht arbeiten, haben ein Recht auf Einkommen und medizinische Versorgung. Gleichheit bedeutet für Parecon aber nicht, dass alle das gleiche Einkommen bekommen. Wer schwerer, länger oder unter schwierigen Bedingungen gesellschaftlich nützliche Arbeit leistet, soll mehr verdienen. Kosten und Nutzen sollten sich für jeden wirtschaftlichen Akteur die Waage halten. Für interessante und befriedigende Arbeiten brauchen Menschen keine finanziellen Anreize. Aber auch in einer gut organisierten Wirtschaft gibt es beschwerliche und unbefriedigende Tätigkeiten, die gesellschaftlich unverzichtbar sind. Solche Arbeiten sollen belohnt werden.

Wenn wir Arbeit und Einkommen trennen und die Menschen arbeiten was sie wollen, wann sie wollen und wie lange sie wollen, sowie konsumieren was, wann und wieviel sie wollen – ohne Mechanismen um zwischen diesen beiden Entscheidungen zu vermitteln – würden die meisten weniger arbeiten und mehr nehmen als dem Gemeinwohl gut tut. Und zwar nicht, weil die Menschen gierig, faul oder verantwortungslos wären, sondern weil sie nicht wissen können, wieviel sie arbeiten müssen und wieviel sie haben können. Auf der anderen Seite wüssten auch die Unternehmen nicht, wieviel sie von welchem Produkt herstellen sollen oder wo sie investieren sollen.

Es gibt bereits viele Unternehmen, in denen diese beiden Aspekte von Parecon verwirklicht werden. Etwa in hunderten besetzten Fabriken in Argentinien und neuerdings auch in Venezuela. Nach einiger Zeit entstehen jedoch häufig Probleme. Die anfängliche Begeisterung schwindet und die Teilnahme an den Versammlungen geht zurück. Nur wenige Menschen beteiligen sich an den Entscheidungen, Einkommensunterschiede nehmen zu, es kommt wieder zu Entfremdung. Und die Beteiligten suchen die Schuld bei sich selbst. Es scheint, dass Herrschaft und soziale Ungleichheit in der menschlichen Natur liegen und es keine Alternative gibt.

Deshalb gibt es eine dritte Parecon Komponente, die sich „ausgewogene Arbeitspakete“ („balanced job complexes“) nennt. Bei der üblichen Arbeitsteilung üben 80% der Arbeiter Tätigkeiten aus, die sie „entmächtigen“. Es sind repetitive Routinearbeiten, die die Menschen voneinander, von den Entscheidungen, die getroffen werden müssen und von den dafür notwendigen Informationen trennen. Dadurch nehmen deren Kompetenzen, ihr Selbstvertrauen und das Wissen um die Zusammenhänge im Unternehmen ständig ab. Sie verlernen, Entscheidungen zu treffen. 20% machen Jobs, die die Beziehungen untereinander stärken, die sozialen Kompetenzen erhöhen, ihr Selbstvertrauen und das Wissen über die Zusammenhänge im Unternehmen steigern, sie also ermächtigen, Entscheidungen zu treffen. Das führt zu einer Spaltung der Arbeitskräfte im Unternehmen, es entsteht so etwas wie ein Klasse von Koordinatoren. Um wirkliche Selbstverwaltung und Klassenlosigkeit zu erreichen, braucht es also zusätzlich zu Arbeiterräten und fairer Entlohnung einen neuen Modus der Arbeitsteilung, eben „ausgeglichene Arbeitspakete“. Das sind Bündel von Tätigkeiten, die alle mit einem adäquaten Machtpotenzial ausstatten, um an der Selbstverwaltung teilnehmen zu können.

Das vierte Element von Parecon betrifft die Allokation der Güter. Wir haben dafür drei Modelle zur Auswahl: Märkte, zentralistische Planung und freiwillige Selbstregulierung. Märkte führen zu sozialer Ungleichheit, großen Machtunterschieden und in den ökologischen Wahnsinn. Sie bedrohen die Selbstverwaltung und fördern das Auftauchen einer Koordinatorenklasse. Zentralistische Planung erzeugt die gleiche Klassenspaltung und bedroht die Selbstverwaltung noch mehr. Auch sie tendiert zu ökologischem Wahnsinn und beschert den Planern Reichtum, während sie Gehorsam und Herrschaftsbeziehungen hervorbringt, die auch auf andere Lebensbereiche übergreifen.

Freiwillige Selbtregulierung ist eine großartige Idee, aber in den meisten Konzepten werden die wesentlichen Herausforderungen nicht angesprochen. Damit Menschen sich in Übereinstimmung mit den richtigen Werten und realen Möglichkeiten selbst verwalten könnnen, brauchen sie Instrumente, mit denen sie feststellen können, welches Ausmaß an Arbeit und Konsum angemessen ist, und Rahmenbedingungen, die das Wohlergehen der Einzelnen an das Wohlergehen der Anderen binden. Das Allokationssystem von Parecon heißt partizipative Planung. Arbeiter- und Konsumentenräte bringen Vorschläge ein und verhandeln so lange, bis Inputs und Outputs in Einklang sind. Es gibt kein Oben und Unten und kein Zentrum, es ist kein Wettbewerb. Es wird buchstäblich Solidarität hergestellt und nicht unsoziales Verhalten gestärkt. Die Menschen müssen dazu weder allwissend noch Heilige sein. Einfache Strukturen ermöglichen und erleichtern Ergebnisse, die den Einzelnen und der Gemeinschaft nützen.

Christian Siefkes: Meine Zweifel an Parecon

Ich stimme mit den Zielen von Parecon überein. Was mich irritiert ist, dass Parecon den Kapitalismus überwinden will, aber doch einen essentiellen Aspekt beibehält: alles dreht sich weiterhin um bezahlte Arbeit: Alle müssen für Geld arbeiten, um die Dinge zu kaufen, die sie zum Leben brauchen. Warum? Müssen wir die Menschen wirklich zur Arbeit zwingen?

Ein typischer Vertreter das Kapitalismus würde vermutlich antworten: „Ja, die Menschen sind faul. Ohne Zwang würde niemand arbeiten und die Menschheit würde untergehen.“ Michael Albert formuliert es ein wenig eleganter, aber im Grunde sagt er das Gleiche: alle sind ein wenig zu faul und wenig zu gierig für eine Gesellschaft ohne Zwang. Aber stimmt das wirklich? Und, gäbe es wirklich ein Missverhältnis zwischen „erreichbarem Output“ und „erreichbarer Nachfrage“, könnte Parecon es vermeiden? Ich bezweifle beides.

Albert spricht immer noch von „Einkommen“, auch wenn die Menschen frei wählen sollen, wieviel sie arbeiten und konsumieren wollen. Aber wenn Arbeit nicht bezahlt wird und man für Konsum nicht bezahlen muss, verlieren die Konzepte „Einkommen“ und „Geld“ jede Bedeutung. Es gäbe also keine „Nachfrage nach Einkommen“, sondern eine „Nachfrage nach Gütern“ unterschiedlichster Art. Das mögliche Missverhältnis wäre nicht nur quantitativ (nicht genug Einkommen, um die Nachfrage zu erfüllen), sondern qualitativ: zu wenig von manchen Gütern, zu viele von anderen, dazu Güter mit unpassenden Eigenschaften. Dieses qualitative Missverhältnis kann nicht einfach dadurch aufgehoben werden, dass Arbeit bezahlt wird. Parecon verfehlt genau den zentralen Punkt, wenn es weiterhin dem kapitalistischen Konzept „Einkommen“ verhaftet ist, statt an das soziale Ergebnis, an die Produktion von Gütern zu denken.

Parecon versucht dieses qualitative Missverhältnis durch „partizipative Planung“ zu verhindern, wo Arbeiter und Konsumenten ihre Vorschläge vorbringen und abgleichen. Der skizzierte Prozess erscheint mir zwar sehr formell und bürokratisch, ich stimme aber zu, dass es soziale Prozesse für die Abstimmung von Produktion und Konsum braucht. Aber wozu braucht es dann noch Geld und Lohn als zusätzliche Krücken? Die Diskussion darüber, was produziert werden soll, um die Nachfrage zu befriedigen, sollte schon alle benötigten Hinweise geben – nicht nur, ob mehr Arbeit notwendig ist, sondern auch welche Arten von Arbeit fehlen und von welchen es vielleicht schon zuviel gibt.

Es stimmt, dieses Wissen alleine garantiert noch nicht, dass sich tatsächlich Menschen finden, die die geforderten Aufgaben übernehmen. Das kann aber auch Lohnarbeit nicht garantieren, wenn sie nicht Teil eines vollständig ausgeprägten Arbeits- und Gütermarktes ist, wo diejenigen, die sich nicht in gesellschaftlich nachgefragter Weise betätigen können oder wollen, letztlich in ihrer Existenz bedroht sind. Natürlich will Albert das nicht, aber wenn er keinen Markt will, dann sollte er konsistent sein und auch die Idee der Bezahlung aufgeben. Keines dieser Konzepte macht Sinn ohne das jeweils andere.

Dies gilt insbesondere auch für die andere Seite der Medaille, den Preis der Waren. In seinem Text erwähnt Albert nicht, wie dieser bestimmt wird. Im Kapitalismus schwanken die Preise für eine Ware rund um ihren Wert, wie Karl Marx festgestellt hat. Dieser Wert ist die Menge an Arbeit, die durchschnittlich mit der bestmöglichen Technik für ihre Herstellung notwendig ist. Wenn ein Unternehmen veraltete Technik verwendet, oder Arbeiter beschäftigt, die langsamer sind oder mehr Fehler machen, kann es seine Produkte auch nicht teurer verkaufen. Wenn die Arbeiter das Problem sind, dann kann das kompensiert werden, indem sie weniger bezahlt bekommen oder entlassen werden. Parecon fordert aber, „die Bezahlung soll sich danach richten, wie lange jemand arbeitet“. Also erhält ein langsamer Arbeiter den gleichen Stundenlohn wie ein schneller. Aber wären die Konsumenten bereit, von einer Kooperative zu kaufen, die viele langsame Arbeiter beschäftigt, obwohl sie dasselbe Produkt bei einer anderen Kooperative mit schnelleren Arbeitern billiger bekämen? Wohl kaum.

Ohne den Wettbewerbsdruck des Marktes wird das Konzept „Preis“ bedeutungslos. Gundsätzlich scheint mir, dass Parecon als Reaktion auf die Auswirkungen von Marktkräften konzipiert wurde, während es gleichzeitig antritt, um den Markt zu überwinden. Wenn Letzteres gelingt, ist ersteres aber nicht mehr nötig. Das wird am deutlichsten wenn Albert die „ausgewogenen Arbeitspakete“ begründet.

Er sagt, die Arbeitenden kommen nicht mehr zu Versammlungen und darum nehmen Einkommensunterschiede zu. Wie das? Erhalten manche Menschen mehr Einkommen, weil sie länger arbeiten statt zu Treffen zu gehen? Oder bekommen die anderen mehr Einkommen, etwa als Kompensation für die langweiligen Treffen? Beide Begründungen scheinen gleich wenig plausibel. Viel plausibler ist, dass Kooperativen – wie alle anderen Marktteilnehmer – im Wettbewerb bestehen müssen und es deshalb für sie schwierig ist, die interne Einkommensgleichheit aufrecht zu erhalten. Hat eine Kooperative hohe Löhne, so sind ihre Produkte teurer als die der Konkurrenz. Sind die Löhne niedrig, findet sie keine gut qualifizierten Arbeitskräfte. In beiden Fällen kann sie am Markt nicht bestehen. Das trifft auch auf alle anderen Faktoren zu, mit denen sich eine Kooperative von traditionellen Unternehmen unterscheiden will. Es ist wenig überraschend, dass die Unterschiede zu anderen Unternehmen geringer werden, je länger Kooperativen auf dem Markt überleben.

Gäbe es ohne den Druck des Marktes noch Gründe, Menschen „ausgewoge Arbeitspakete“ aufzuzwingen? Ich denke nicht. Ohne Markt und ohne die Notwendigkeit einen Lebensunterhalt zu verdienen, würden die Beschäftigungen der Menschen sowieso viel abwechsungsreicher sein als heute. Aber wenn ich mit einer Beschäftigung glücklich bin, warum sollte ich zu anderen gedrängt werden? Es ist sinnvoll, eine größere Vielfalt an Beschäftigungen zu fördern, aber nicht, alle mit bürokratischen Mitteln dazu zu zwingen.

Was, wenn es wirklich ein Missverhältnis gibt zwischen der Summe aller Produktions- und Konsumpräferenzen; wenn etwa niemand fischen will und die Menschen trotzdem Fisch essen wollen? Dann müssen die Leute, die Fisch essen wollen, entweder verzichten oder aber eine Lösung finden, um an Fische zu kommen. Das würde nicht notwendigerweise bedeuten, dass jemand fischen muss. Vielleicht wäre eine Automatisierung von Fischzucht und -verarbeitung möglich. Es müssten sich zwar immer noch Menschen damit beschäftigen, ein solches System zu entwickeln, aber die Aufgabe wäre eine ganz andere und möglicherweise auch für Menschen attraktiv, die nicht fischen wollen.

Bleiben unangenehme Arbeiten offen, bei denen weder Automatisierung noch Umorganisation eine realistisch Option sind, schlage ich vor, sie in „Aufgaben-Pools“ zu sammen und auf alle zu verteilen. Dann machen alle einige Stunden in der Woche oder im Monat Arbeiten, die sie nicht wirklich gerne tun. Weil aber die Päferenzen der Menschen so unterschiedlich sind, glaube ich nicht, dass dieses Problem oft auftreten würde. Etwas zu tun, was von anderen gebraucht wird, ist zudem befriedigender als nur für den Papierkorb zu arbeiten. Und obwohl die meisten Menschen auch Muße genießen, würden nur wenige damit voll ausgefüllt sein.

Märkte können den Abgleich zwischen Angebot und Nachfrage leisten, allerdings nur für diejenigen, die bezahlen können, und zu enormen sozialen Kosten. Bürokratische Verfahren, wie in Parecon angedacht, können das möglicherweise zu einem gewissen Grad, aber die sozialen Kosten, – z.B. alle Menschen zu zwingen, bestimmte Arbeiten zu tun, auch wenn andere sie gerne machen würden und viel Zeit für Planungstreffen aufzuwenden – scheinen mir immer noch höher zu sein als nötig. Zudem hat es noch nie ein bürokratisches Regime gegeben, aus dem keine privilegierte Klasse von Bürokraten entstanden wäre. Parecon versucht, das zu verhindern, doch ob es gelingen würde, bleibt fraglich.

[Teil 2 [7]]