Mit Geld zu Gemeingütern? Die HyperCard – LiveCode Story.

In diesen Stunden freue ich mich ganz besonders über ein erfolgreiches Crowdfunding – Projekt. Die Rede ist von LiveCode, einem modernen Abkömmling der klassischen Mac Software HyperCard. Bis jetzt ein rein proprietäres Produkt, wird LiveCode jetzt zu einer freien Software, aber nicht das Produkt wie es heute existiert, sondern ein von Grund auf neu geschriebenes. Der alte Code ist undurchschaubar und war für die Macher selbst nicht mehr zufriedenstellend; dennoch ist der Wechsel zu OpenSource bemerkenswert. Das neue LiveCode wird unter GPL lizensiert, und wird wahrscheinlich wie das alte HyperCard transparente Skripts haben.

Warum ich mich so freue? Dazu muss Mensch wissen,  ich war  in einem früheren Leben Entwicklerbetreuer für Apple Computers HyperCard. Es hat mir als Geisteswissenschafter sowohl als Werkzeug der Wissensorganisation (Vorläufer des WWW) als auch als Programmierwerkzeug großen Spaß gemacht. Ich bin heute noch der Meinung, dass HyperCard der notwendige zweite Schritt in der Personal – Computer – Revolution war: Ein Werkzeug, das auch normale Benutzer dazu befähigte, einen Computer zu programmieren und damit wirklich auf die Kraft der Automation Zugriff zu bekommen. Dagegen war alles was es in anderen Programmen als „Scripts“ gab und gibt unglaublich eingeschränkt und primitiv, mit HyperCard konnten Aufgaben beliebiger Komplexität mit einem ansprechenden und einfachen Benutzerinterface verbunden werden. Und anfangs war HyperCard bei jedem Mac gratis dabei, einfach so. Apple hat vielleicht selbst nicht geahnt, wieviel Kreativität dadurch freigesetzt werden konnte, Die Programmiersprache war mächtig und subtil und sie war eigentlich nichts anderes als eine etwas strukturierte Form von einfachem Englisch. Ich habe hunderte Menschen erlebt, die diese neue Form des Ausdrucks als wirkliche Unterstützung in ihrer Arbeit erlebt haben, und die plötzlich in die Lage versetzt wurden, ohne einen Programmierer den Computer genau das tun zu lassen, was sie benötigten. Ein Buch würde nicht genügen um das alles zu beschreiben, worauf die Leute dabei gekommen sind, vor allem wenn sie den Computer mit Peripherien von der Gebäudesteuerung bis zu Bildplattenspielern verbinden konnten. Ich habe mit Architekten und Medizinern und Romanautoren gearbeitet und erlebt, wo überall die kreative Kraft der Automation eingesetzt wurde. Automation als Ergänzung und höchst individualisierte, verlässliche Erledigung von Routineaufgaben.

HyperCard ist 2004 von Apple, genauer von Steve Jobs, wie ein ungeliebtes Kind abgetrieben worden – manche sagen es war genau deswegen um diese zweite Revolution, die die Menschen wirklich in die Lage versetzt hätte den Computer selbst als ihr Werkzeug in die Hand zu nehmen, zu verhindern. Was die Mac-Community in den ersten Jahren von HyperCard erlebt hatte, war ein unglaublicher Auftrieb des Teilens und des Kooperierens. Mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt brachten die Benutzer ihre Programme im Umlauf und freuten sich, wenn sie anderen dabei helfen konnten, dem Computer etwas beizubringen. Über eine Million sogenannter „Stacks“ wurden allein im ersten Jahr 1987/88 geschrieben, fanden Marktforscher heraus. Die Benutzer konnten sich selbst verschiedene Levels geben, vom „Blättern“ übers „Gestalten“ zum „Programmieren“. User Groups schossen aus dem Boden, aus denen später professionelle Entwicklergruppen wurden, sie dienten als Verteilzentren – denn damals gab es das Internet noch nicht. Jeder kopierte von jedem, passte an, und es war kein Problem dran – bis irgendein Mensch auf die Idee kam, einen Copyrightprozess anzustrengen. „101 Scripts and Buttons for HyperCard“ hieß das bescheidene Produkt von Individual Software. Weil damals eine wesentlich umfangreichere Sammlung von Robertson Reed Smith namens „Stack Starter“ zirkulierte, war es für den Autor des kommerziellen Produktes logisch, durch eine Klage wegen Copyrightverletzung diesen Reichtum an verfügbaren Ressourcen zu torpedieren. Und so schnell wie die Fiesta des Teilens und Schenkens in Gang gekommen war, so schnell wurde sie auch beendet. Apple stellte sich auf die Seite der „professionellen“ Entwickler, und HyperCard wurde irgendwann als zu „professionalisierendes“ Produkt an die Softwaretochter Claris übergeben.

Die Ironie war: die Claris Leute wussten dass die Stärke von HyperCard gerade in dieser Ermunterung der Benutzer zum Teilen und Abkupfern lag, in der grenzenlosen Individualisierbarkeit. Und als ich in der Claris Zentrale in Mountain View die Idee einer europäischen HyperCard – Community vortrug, waren sie Feuer und Flamme. Damals stand vor allem die Kombination mit der Datenbank Filemaker im Vordergrund. Ich fuhr mit dem guten Gefühl nach Europa, eine riesige und professionell unterstützte Aufbauarbeit vor mir zu haben, die die kooperativen Potentiale in einer weltweiten Open Source Bewegung sammeln würde, in der quer durch alle Berufsfelder und gesellschaftlichen Aktivitäten das Potential der Automatisierung für Individualität und Qualität von Arbeiten kooperativ entwickelt werden würde. Die „richtige“ Open Source Bewegung war mir damals nur sehr oberflächlich bekannt. Aber hier ging es um „the rest of us“, Benutzer (und ein paar -Innen), die ihre Arbeit tun und sich nicht unnötig mit dem Computer rumschlagen würden.

Unmittelbar darauf kam Steve Jobs zu Apple zurück, Claris wurde zerschlagen und HyperCard kam zu Apple zurück. Ich war schon mal sauer, denn dadurch war die vereinbarte Grundlage und Perspektive meiner Arbeit zerstört. Aber es kam noch schlimmer. Steve Jobs zog nämlich immer mehr Leute von HyperCard ab, „vorläufig“ wie es hieß. Alle warteten wir auf die Version 3.0, aber sie kam nicht. Steve Jobs ließ die Gerüchte, HyperCard sei abgeschrieben, als „bullshit“ zurückweisen, aber es war praktisch klar, dass genau das passierte. Apple hatte sich entschieden, in eine völlig andere Richtung zu gehen, in die slicke Massen – Welt des Hantierens mit Bildern, Musik, Filmen, und dabei störte die Idee der programmierenden Benutzer. Stattdessen wurde ein Geschäftsfeld nach dem anderen mit Application Store etc. aufgebaut, das uns allen ja wohlbekannt ist. 2004, also ein rundes Jahrzehnt nach der Rückkehr zu Apple, schließlich wurde offiziell verkündet dass HyperCard nicht mehr weiterentwickelt wird – was bei dem rapiden Wechsel von Betriebssystemen und  Prozessoren das Todesurteil bedeutete.

Auch Versuche HyperCard in Open Source Form weiterzuentwickeln wurden von Apple nicht unterstützt. Ein HyperCard für das Web namens TileStack musste aufgeben, lediglich einige ähnliche Nischenprodukte überlebten. Eines dieser Produkte kam von jener Firma in Edinburgh – RuntimeRevolution. die nun die erfolgreiche Initiative ergriffen haben.

Ich schreibe das alles nicht nur um darauf aufmerksam zu machen, dass eine noch völlig unterschätzte Renaissance des User Programmings am Horizont ist, die durch das OpenSouce LiveCode ausgelöst werden wird. Wir werden mit hoher Wahrscheinlichkeit die Rückkehr einer breiten „Software – Maker“ Kultur erleben, die wiederum mit völlig neuen Möglichkeiten von Computern, Pads und Smarthones kombiniert werden kann.

Mir imponiert eigentlich auch an diesem einen Beispiel, wie mitten in der Welt des Geldes durch die Macht des Geldes Gemeingüter und gemeinsame Verantwortungsbereiche neu geschaffen werden können. Schon die Kampagne für LiveCode hat mich wieder in Verbindung gebracht mit Menschen die ich vor Jahrzehnten als Community – Aktivisten kenenngelernt habe. Ich habe gesehen dass sich das Bewusstsein, dass die assoziierte Arbeit sich selber vergesellschaftet  und sich eben auch das leider noch notwendige Kapital selber checkt, mittlerweile viel faszinierender ist als die theatralischen Keynotes der Apple-Stars, die nur noch eine Parodie ihrer selbst sind, wenn sie sich mit Umsatzzahlen und inkrementellen Designverbesserungen schmücken und immer wieder neue Superlative finden müssen, wie „exciting“ und „breakthrough“ das nicht alles wäre.

Auf dem Wiener Solidarökonomiekongress haben wir in der Demonetarisierungsschiene diskutiert, dass das Geld eben auch ein Werkzeug zur Abschaffung der Ware – Geld – Beziehungen sein kann – wenn  es hilft, verlässliche Beziehungen der Produzenten und Konsumenten untereinander zu etablieren wie zum Beispiel in der Community Supported Agriculture. Crowdfunding ist ein Werkzeug, das wir in seiner Tragweite vielleicht noch nicht wirklich begriffen und zu nutzen gelernt haben. Es kann uns helfen, strategisch ein Gemeingut nach dem anderen aufzubauen und einen Zyklus der wechselseitigen Verstärkung von Potentialen einzuleiten. Mir ist das jetzt – durchaus vermischt mit der Euphorie einer erfolgreichen „Vergeltung“ nach fast 20 Jahren – ein wenig bewusst geworden.

 

 

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