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Was die Marxistinnen sagen

(Crossposting: Dieser Text erscheint gleichzeitig bei Principien [1], wo er den dritten Teil einer Mini-Serie bildet. Der erste Teil [2] ist nach der Diskussion, die ich im Anschluss mit einem freischaffenden Künstler führte, und in deren Verlauf ich meine Haltung revidiert habe, eigentlich obsolet. Im zweiten Teil [3] argumentiere ich u.a. für eine bilaterale rhetorische Abrüstung: Wir sollten aufhören, von Teilen&Tauschen zu sprechen, wenn dafür die Gegenseite auf den Diebstahl-Vorwurf verzichtet. Er ist außerdem der Ausgangspunkt des folgenden Artikels.)

In der Diskussion [3] um ACTA und das Urheberrecht haben die Progressiven einen argumentativen Sieg gegen die Konservativen errungen. Er hinterlässt aber einen bitteren Beigeschmack. Ja, er fühlt sich fast an wie eine Niederlage. Der Fortschritt soll die Künstlerinnen überflüssig machen? Ist das die Pointe? Sollten wir dann nicht doch besser beim konservativen Modell bleiben?

Eine dritte Gruppe hat der Diskussion bislang schweigend, an manchen Stellen kopfschüttelnd zugehört: die Marxistinnen. Nun spucken sie aus und pfeifen durch die Zähne, «ppfff». (Marxistinnen wirken oft ein bisschen arrogant, weil sie meinen, immer alles besser zu verstehen. Das haben sie von ihrem großen Guru gelernt, der ein Meister im Besserwissen war – in beiden Bedeutungen des Wortes.) Sie sagen, was Marxistinnen am liebsten sagen: «Die Diskussion steht doch auf dem Kopf, wir müssen sie auf die Füße stellen». Das geht so:

Es sei doch offensichtlich, dass es um die Künstlerinnen überhaupt nicht gehe. Als hätten sich Staat und Kapital je ernsthaft um den Zustand der Kunst geschert. Kapital wolle akkumulieren und kapitalistische Staaten müssten (sonst hörten sie auf, solche zu sein, was sie nicht könnten, solange es den Kapitalismus gibt bzw. umgekehrt) dafür sorgen, dass entsprechende Bedingungen herrschen. So auch hier: bei HADOPI/SOPA/ACTA und was ihnen noch so alles einfallen möge, gehe es letztlich immer um dasselbe. Es solle mit diesen Gesetzen gewährleistet werden, dass das Kapital im kulturindustriellen Sektor weiter akkumulieren könne. Das sei im Übrigen kein Geheimnis, da die Musik- und Filmbranche selbst fast genau das sagten. Nur in anderen Worten: Arbeitsplätze seien gefährdet [4].

Das ganze Geraune von wegen «die Kunst» wäre bedroht, sei doch nur die übliche Leier [5] der integrierten Intellektuellen (nützlichen Idiotinnen) in den bürgerlichen Feuilletons. Sie trage das Merkmal, an dem man Ideologie immer erkenne, nämlich an der eigentümlichen Mischung aus (1.) Schein-Plausibilität, (2.) krassem Widerspruch zu allen bekannten Fakten und (3.) einer Herrschaft stabilisierenden Funktion. Kunst habe es in allen höher entwickelten Kulturen gegeben. Ihre Warenförmigkeit sei die historische Ausnahme, nicht die Regel, auf gar keinen Fall aber ihre conditio sine qua non.

Solange die Künstlerinnen nicht erkennten, dass sie sich von den Strukturen des ihre Arbeitskraft ausbeutenden Kapitalsektors befreien müssten, blieben sie in einer Logik gefangen, die ihren Interessen nur scheinbar entspräche, ihnen in Wirklichkeit jedoch entgegenstünde. Namentlich sei dies die Logik der Managerinnen und Vertriebsfirmen, die von ihrem Produkt den Mehrwert abzweigten und behaupteten, es sei leider nicht anders möglich.

Nun habe sich aber mit der Produktivkraftsteigerung durch das Internet die historisch neuartige Situation ergeben, dass die partikulare Befreiung der Künstlerinnen dem Ende der kapitalistischen Vergesellschaftung nicht mehr logisch nachgeordnet sei. Dies aus folgendem Grund: Durch die Möglichkeit, die in Daten vorliegende Kunst beliebig oft und qualitätsverlustfrei zu kopieren (was nebenbei die Distributionskosten entfallen lasse), sei riesiger gesellschaftlicher Reichtum entstanden, der leichter als je zuvor ohne Tausch anzueignen sei. So werde er massenhaft seiner Warenform entkleidet (verliere seinen Tauschwert), und sei daher nur mit außerökonomischen, gewaltsamen Mitteln zu verknappen.

Diese künstliche Verknappung sei genau Zweck des zum Copyright verschärften Urheberrechts, dessen Geltung der Staatsapparat durchsetzen müsse. (Gern auch mal mit der mittelalterlichen Methode des Exempels. Das ließe schon auf eine gewisse Verzweifelung schließen, auf einen widerwärtigen Zynismus jedenfalls.) Denn wo keine Knappheit und keine Warenform – dort keine Kapitalakkumulation. Digitaler Kommunismus sei aus diesem Grund trotz und innerhalb der dominanten kapitalistischen Produktionsweise möglich, wie P2P und Commons-based Peer Production zeigten.

Der Kampf für ACTA/SOPA/HADOPI sei also im Kern: kein Kampf für die Rechte der Künstlerinnen, mitnichten! Sondern der Überlebenskampf des kulturindustriellen Sektors, der sich nur ideologisch als Kampf für die Künstlerinneninteressen artikuliere. Für sie, die Marxistinnen, hinge nun alles daran – dies sei das politische Gebot der Stunde! – mit den Künstlerinnen eine Allianz zu suchen. Also nicht auf den Schein-Antagonismus hereinzufallen, den die Logik des Kapitals konstruiere. Sondern mit ihnen gemeinsam Maßnahmen zu ergreifen, die den Künstlerinnen in einer Übergangsphase (der Phase des Kampfes gegen die Industrie) den Lebensunterhalt sicherten. Dies sei keine leere Formel, keine Utopie; die bereits erfolgreich praktizierten Freiwilligkeitsmodelle gäben die Richtung an. Und einfache Rechnungen könnten deren beiderseitige Vorteile beweisen.

Dieser Kampf möge reformistisch wirken, da er nicht die Forderung nach sofortiger Revolution beinhalte. Er sei es nicht. Denn die Entkapitalisierung der Kunst, der Kulturindustrie, stelle – im Zusammenspiel mit der nicht mehr verschwindenden allgemeinen Krise – für den Kapitalismus nicht weniger als den Anfang vom Ende dar. Für die Menschen den ersten Schritt in die Freiheit.