Diskursfigur 8: Jenseits des Sozialismus

Das ist Teil 8 einer Serie wöchentlich erscheinender Artikel, deren englische Fassung im Journal of Peer Production erscheinen soll. In den Artikeln versuche ich zehn Diskursfiguren zu beschreiben, wie sie im Oekonux-Projekt in über zehn Jahren der Analyse Freier Software und commons-basierter Peer-Produktion entwickelt wurden. Mehr zum Hintergrund im einleitenden Teil. Bisher erschienene Teile: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7.

Diskursfigur 8: Jenseits des Sozialismus

[English]

Sozialismus wie von Karl Marx in der »Kritik des Gothaer Programms« (Marx, 1875) definiert, ist eine warenproduzierende Gesellschaft, in der die Arbeiter_innenklasse die Macht hat. Historisch wurde dies durch den sogenannten »realexistierenden Sozialismus« umgesetzt. Es gab und gibt viele Kritiken an realsozialistischen Ländern (fehlende Demokratie usw.) innerhalb der Linken. Dennoch teilt ein Großteil der Linken die Annahme, dass eine eigenständige Zwischenphase zwischen der freien Gesellschaft (die Kommunismus genannt werden kann) und dem Kapitalismus unvermeidlich ist. Nach dem allgemeinen Konzept besitzt dort die Arbeiter_innenklasse die Macht und kann die gesamte Ökonomie entsprechend ihrer Interessen und damit der Mehrheit der Gesellschaft umstrukturieren. Kurz: Zuerst muss die Macht errungen werden, dann wird die neue Produktionsweise folgen, um eine wirklich freie Gesellschaft aufzubauen. Dieses Konzept ist historisch gescheitert.

Der Grund für das Scheitern liegt nicht in internen taktischen Differenzen oder Defiziten, sondern am unrealistischen Konzept der qualitativen historischen Transformation. Niemals in der Geschichte wurde die Frage der Macht zuerst gestellt, es war stets eine neue Produktionsweise, die aus der alten Art zu Produzieren entstand und den historischen Übergang vorbereitete. Der Kapitalismus entwickelte sich ursprünglich aus dem Handwerk der mittelalterlichen Städte, das dann in Manufakturen integriert wurde und schließlich zum System der großen Industrie führte. Die Frage der Macht wurde »auf dem Weg« dorthin gelöst. Das schmälert nicht die Bedeutung von Revolutionen, aber Revolutionen können nur das realisieren und befördern, was sich bereits entwickelt. Die Revolutionen des Arabischen Frühlings erschaffen nichts Neues, sondern sie versuchen die Potenzen der normalen demokratischen und bürgerlichen Gesellschaft umzusetzen.

Diese Analyse historischer Entwicklungen (genauer ausgeführt in Diskursfigur 10) muss auf die gegenwärtige Situation angewendet werden. Der historische Übergang kann nicht als Übernahme der politischen Macht realisiert werden – sei es über das Parlament durch Aktionen auf der Straße – sondern nur als Entwicklung einer neuen Produktionsweise. Die Kriterien für die neue Qualität können aus den praktischen Negationen der alten Produktionsweise gewonnen werden. Statt Waren: Commons-Produktion; statt Tausch und Geldvermittlung: freie Verteilung; statt Arbeit: Selbstentfaltung; statt Exklusionsmechanismen: Inklusion aller Menschen. Es müssen jedoch nicht alle Entwicklungen des Kapitalismus abgeschafft werden, einige können weitergehen, wenn auch in veränderter Form.

Die commons-basierte Peer-Produktion überschreitet sowohl den Kapitalismus wie auch den warenproduzierenden Sozialismus.

Diskursfigur 9: Jenseits der Politik

Literatur

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