Der Bayer-Konzern und die Patente

Jan Pehrke von der Coordination gegen Bayer-Gefahren hat in der jungen Welt einen interessanten Artikel zum Verhältnis der Chemie-Industrie zu Patenten geschrieben. Er zeigt darin sehr schön auf, dass in der Aufstiegsphase deutsche Unternehmen fleissig Erkenntnisse und chemische Formeln von englischen Unternehmen »klauten«, um ihre »nachholende Entwicklung« auf den Weg zubringen. In der Aufstiegszeit waren deutsche Unternehmen folglich gegen Patente eingestellt.

Das änderte sich in dem Maße, wie aus der »Imitationsindustrie« eine »Innovationsindustrie« wurde, also eigene ausreichende Forschungskapazitäten eingerichtet werden konnten. Einzig die radikalen Freihändler (die »Liberalen« der damaligen Zeit) argumentieren nun noch gegen Patente und warnten vor Monopolbildungen und »Abhängigkeit der Konsumenten von den Patentinhabern«. Auch die Debatte um das sog. »geistige Eigentum« wirkt geradezu aktuell:

So mochte etwa Friedrich Carl von Savigny dem Menschen kein »Eigenthumsrecht an seinen Geisteskräften« zusprechen. Die eigene Person vermag nicht Objekt der Willensherrschaft sein, schrieb er in »System des heutigen römischen Rechts«. Der Einzelne hätte zwar eine rechtmäßige Macht über seine Kräfte, der Staat habe aber keine Möglichkeit, sie vor anderen zu schützen und in »ebenso überflüssiger wie verwirrender Weise« rechtlich abzusichern.

Das war einmal. 1877 kam das Patentgesetz dann doch. Interessanterweise wurden damals Patente noch ausschließlich auf technische Verfahren, nicht aber auf die synthetisierten Substanzen selbst vergeben. Wer also auf einem technischen anderen Weg zur gleichen Substanz kam, konnte das legal tun und das Produkt verwerten. Dies bot den Unternehmen die Möglichkeit, sich aus »Patent-Mausefallen« (Blockade bestimmter Herstellverfahren von wichtigen Zwischenprodukten) zu befreien, was zunächst durchaus noch in ihrem Interesse lag.

Schon das erste Patentgesetz machte Unternehmen zu Rechtssubjekten, die selbst Patente anmelden konnten. Da Patentanmeldungen sehr aufwändig und teuer sind, waren sie faktischen gegenüber den konkreten »Erfindern« besser gestellt. In der Folge kam es schließlich auch zu der befürchteten Monopolbildung durch Zusammenschluss verschiedener Firmen. Die I.G. Farben als später maßgeblicher Förderer und Profiteur des Nationalsozialismus stechen hier besonders heraus.

Nach dem Krieg wurden die I.G. Farben zerschlagen (der Aktienhandel der Rest-IG-Farben wurde erst am 9.3.2012 eingestellt). Für die konkurrierenden Nachfolge-Konzerne wurde die Patente zentral (Monopole brauchen keine Patente). 1967 wurden dann auch die Substanzen selbst patentierfähig gemacht, und 1978 wurde die »Schutzfrist« von 15 auf 20 Jahre erhöht. Die Substanzpatentierung findet heute ihre logische Fortsetzung beim Kampf um die Patentierung von Lebewesen. Der Autor schließt:

Vom rücksichtslosen Ideenklau bis zu einer Inanspruchnahme von Verwertungsrechten an Pflanzen und Tieren, vom Suchen nach Auswegen aus der »Patent-Mausefalle« bis zu Klagen im Dutzendpack gegen vermeintliche Verletzer eigener Schutzrechte, vom Dringen auf Patent­ausnahmen für die chemische Industrie bis zum Eintreten für einen »zuverlässigen weltweiten Schutz seines geistigen Eigentums« reicht die wechselvolle Beziehung von Bayer zu Patentregelungen also. Und das Gesetz stand dem Leverkusener Multi dabei stets hilfreich zur Seite.

Ein informativer Artikel. Was ich aber völlig vermisst habe, ist eine grundsätzliche Kritik der Patentierung. Zwar wurde anschaulich gezeigt, wie sich die Interessenlagen der deutschen Unternehmen gewandelt haben, aber die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen wurden nicht diskutiert. So entsteht der Eindruck, dass Patente an sich ganz in Ordnung seien, nur ihre Anwendung durch böse Konzerne nicht. Das wird jedoch der Gesamtproblematik nicht gerecht. So wird etwa kein Wort dazu verloren, dass Patente nicht nur Monopole begünstigen, sondern auch alternative Produktionsweisen im Markt oder gar jenseits des Marktes blockieren. So bleibt die Kritik auf halben Wege stehen.

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