Kommentar zum Urheberrecht von links

Nun endlich kommt der angekündigte Kommentar zum Antrag der Linksfraktion zum Urheberrecht. Rahmenfragen — etwa warum der Antrag jetzt kommt, wo die Enquetekommission zum gleichen Thema Empfehlungen vorlegt — lasse ich mal außen vor. Hier soll es um den Inhalt des Antrags gehen, der eine Positionsbestimmung der Partei DIE LINKE markiert.

Bevor ich gleich mit dem Nörgeln beginne, zunächst mal ein Lob vorweg: DIE LINKE hat sich bewegt und zwar in die richtige Richtung. Ein Lernprozess hat offensichtlich stattgefunden. Urheberextremistische Positionen bleiben nun tatsächlich den Regierungsparteien überlassen.

Gleichzeitig spiegelt der Antrag den Kompromiss zwischen den Urheberrechts-Fans und -Kritiker_innen innerhalb der LINKEN wider. Eine klare Position in Richtung einer vom Urheberrecht befreiten Gesellschaft jenseits der Verwertungslogik kann dabei nicht herauskommen. Das Changieren zwischen Freiheit und Reichtum auf der einen und Warenform und künstlicher Knappheit auf der anderen Seite schlägt überall durch.

Zunächst fällt auf, dass drei sehr klar umrissene Personengruppen konstruiert werden: Urheber_innen (=Kreative), Verwerter_innen (=Medienkonzerne), Nutzer_innen (=Gesellschaft). Nur haut diese klare Aufteilung nicht hin, denn die Urheber_innen sind immer auch die Verwerter_innen. Dass sie das Verwertungsrecht dann u.U. an andere abtreten, ist ja gerade ein Sinn des Urheberrechts. Der Antrag tut hingegen so, als ob die Urheber_innen auf der einen und die Verwerter_innen auf der anderen Seite stehen. Eher noch kommt der Antrag damit klar, dass oft auch Nutzer_innen und Urheber_innen ineinander übergehen.

Ich gehe im folgenden einzelne ausgewählte Textpassagen durch. Zunächst zum allgemeinen Teil I.

Ein modernes Urheberrecht … muss zeitgemäß zwischen Urheber-, Nutzer- und Verwerterinteressen vermitteln. (…)

Es braucht einen solidarischen Gesellschaftsvertrag für die digitale Welt.

Was ist ein Gesellschaftsvertrag? Ein Gesellschaftsvertrag ist ein Gedankenexperiment, eine fiktive Konstruktion zur Rechtfertigung der staatlichen Ordnung und ihrer Regelungen (etwa Gesetze). Dem Vertrag stimmen die fiktiv vertragsschließenden Parteien fiktiv freiwillig zu und haben somit keinen Grund mehr, sich gegen Autoritäten aufzulehnen. In diesem Fall geht es um »Urheber-, Nutzer- und Verwerterinteressen«. Ein solcher (wie gesagt: fiktiver) Vertrag ist dann notwendig, wenn die beteiligten Interessenlagen grundsätzlich nicht vereinbar sind. Dann muss der Vertrag zwischen den konträren Partialinteressen »vermitteln«, also einen Kompromiss finden. Das ist auch — angesichts der gegebenen partialinteressenförmig strukturierten Gesellschaft (manche nennen sie auch Kapitalismus) — erstmal stets die Handlungsgrundlage.

Allerdings würde ich von einer Partei, die eine allgemeine Emanzipation anstrebt (unterstelle ich mal) erwarten, dass sie eine Vorstellung von einer gesellschaftlichen Konstellation hat, in der Urheber-/Verwerter- und Nutzerinteressen keinen Gegensatz mehr bilden. Dies wäre dann der Fluchtpunkt auch aktueller, notwendig begrenzter politischer Initiativen. Eine solche emanzipatorische Vorstellung fehlt jedoch. Daher sieht sich DIE LINKE genötigt, im Partialinteressen-Dschungel ihr Herz für »eine Seite« zu erwärmen — und das sind die Urheber_innen und Nutzer_innen. Dumm nur, dass diese gleichzeitig immer auch wieder mal die Verwerter_innen sind — je nach Konstellation.

Die Weiterentwicklung des Urheberrechts sollte einen Anreiz für kreative Leistungen schaffen.

Die Eingebundenheit in das interessenlogische Denken zeigt in diesem Satz, der gebetsmühlenartig von allen Parteien wiederholt wird, nun also auch von der LINKEN. Er unterstellt ungesagt, dass es ohne Urheberrecht keine kreative Leistungen gäbe. Das ist grober Unfug und Verschleierung der Tatsache, dass Urheberrecht und Kreativität logisch erstmal nichts miteinander zu tun haben. Kreative Leistungen finden jeden Tag überall in der Gesellschaft statt, und wir sind alle daran beteiligt — mehr oder weniger.

Das Urheberrecht setzt erst dann ein, wenn es um zwei Fragen geht: Will ich als Urheber_in anerkannt werden? Will oder muss ich ein Einkommen mit meiner kreativen Tätigkeit erzielen? Die erste Frage löst das Urheberrecht ganz elegant, indem es alle Kreativen automatisch zur Urhebern macht, per Gesetz. Ja, da geht’s noch um Schöpfungshöhe und Bla, aber das lasse ich hier weg. Also dampft sich das Urheberrecht ein auf die Frage, ob und wie ich Knete machen kann.

Das Urheberrecht ist im Kern ein Exklusionsrecht zur Schaffung künstlicher Knappheit. Knappheit ist die Voraussetzung für die Warenform des eigenen Werks. Mit dem Urheberrecht wird aus der Urheber_in eine Verwerter_in. Darin jedoch liegt eine unabwendbare Selbstfeindschaft nahe: Diejenigen, die ich gewinnen will, muss ich gleichzeitig ausschließen. Früher dienten die Verwertungsgesellschaften und -industrien dazu, diesen Gegensatz zu »vermitteln«, heute müssen das mehr und mehr die Urheber_innen selbst tun. Verwertungszwang und Selbstfeindschaft haben jedoch NICHTS mit Kreativität zu tun. Es sind fremde, externe, nervige, aufgezwungene Verhaltensweisen, die GEGEN das Wesen von Kultur — der freie Austausch — angewendet werden müssen. Emanzipation hieße, eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie die Menschen davon befreit werden könnten. Es hieße, einen Begriff der Freiheit der Kultur, die nur die Freiheit der Menschen sein kann, zu entwickeln. Kein Zipfelchen davon findet sich in dem Antrag. Stattdessen wird die alte, falsche Verbindung von Kreativität und Exklusion (=Verwertungsrecht) wiederholt.

So nimmt es nicht Wunder, dass der ideologische Kampfbegriff der Debatte schlechthin perpetuiert wird:

Der Begriff „Geistiges Eigentum“ wird von vielen Künstlerinnen und Künstlern als Synonym für die ideelle und materielle Anerkennung ihrer persönlichen Leistung verstanden.

Mal davon abgesehen, dass es sich um eine unbewiesene Behauptung handelt: Es gibt kein »Geistiges Eigentum« (hier auch noch verdinglichend als Substantiv geschrieben). Es mag eine derartige Rechtsform geben, aber die verdinglichte Alltagsform, die hier nahegelegt wird, existiert nicht. Eigentum generell ist ein Rechtsbegriff, der den Ausschluss Dritter in Relation auf ein exklusiv verfügbares Gut festlegt. Im Unterschied zum stofflichen Gut, bei dem aufgrund der Nutzungskonkurrenz (auch Rivalität genannt) andere nicht nur rechtlich, sondern auch praktisch von der Nutzung ausgeschlossen sind (nur ich kann den konkreten Apfel essen), ist die Nutzung nicht-stofflicher Güter (wg. der Nicht-Rivalität) durch beliebig viele Menschen möglich. Der faktische Ausschluss muss hier erst künstlich hergestellt werden! Ein alltagspraktisches Konzept »was ich habe, kannst du nicht gleichzeitig haben« gibt es hier nicht.

Deswegen wird (auch im Recht) zwischen Eigentum (=abstrakte Rechtsform) und Besitz (=konkrete Nutzungsform) unterschieden. Das hatte ich schon mal hier angemerkt. Bei stofflichen Gütern stimmen Eigentums- und Besitzverhältnisse meistens überein. Bei nicht-stofflichen Gütern hingegen fallen Eigentum und Besitz aufgrund der nicht-rivalen Natur der Güter auseinander. Beide Aspekte müssen erst nachträglich rechts-, technik- und gewaltförmig wieder zusammengebracht werden.

Eine weitere mit dem Begriff »Geistiges Eigentum« verbundene Vorstellung ist die der einzigartigen Leistung des/der Kreativen. Kultur baut jedoch immer auf den Schöpfungen anderer auf — und nicht erst, seit der Begriff »Remix« existiert. Die Notwendigkeit der Herausstellung der Einzigartigkeit besteht allein aufgrund des Zwangs zur Inwertsetzung, mit der Kreativität selbst hat das nichts zu tun.

Weiter im gleichen Absatz:

Zugleich werden mit ihm Verbots- und Ausschlussrechte der Medienindustrie gegenüber Nutzerinnen und Nutzern begründet.

Die böse Medienindustrie! Hier wird verschleiert, dass es die Urheber_innen selbst sind, die die genannten »Verbots- und Ausschlussrechte« benötigen, ob sie nun die Medienindustrie in Anspruch nehmen oder nicht. Die klaren Rollenzuschreibungen funktionieren nicht (siehe oben).

Nächster Satz:

In der Debatte um ein zukunftstaugliches Urheberrecht sollte deswegen der Begriff unter Beachtung seiner unterschiedlichen rechtlichen Bezugspunkte differenziert verwendet werden: diese bestehen im Wesentlichen in Persönlichkeits- und Verwertungsrechten.

Dieser Satz ist der lustigste im ganzen Antrag. Ich übersetze mal in Klartext: »In der Debatte um das Urheberrecht sollte der Begriff nur in Bezug auf das Urheberrecht verwendet werden«. Denn das Urheberrecht befasst sich nun mal »im Wesentlichen mit Persönlichkeits- und Verwertungsrechten«. Bitte welche anderen Verwendungen sollen hier abgegrenzt werden? Wie kann man einen falschen, ideologischen Begriff differenziert verwenden? Oder soll das ein verklausuliertes Plädoyer dafür sein, den Begriff nur im Rechtskontext zu verwenden — also gerade nicht so, wie vorher vorgeführt? Ich vermute mal: Hier hat die Debatte getobt, und die Formulierung ist ein typischer nichtssagender (weil tautologischer) Kompromiss: Wir behalten die falsche Rede bei, aber das differenziert.

Ausschließlichkeitsrechte … könnte(n) nur durch weitgehende Eingriffe in Nutzer- und Bürgerrechte durchgesetzt werden. Die Vorstöße dazu, etwa zur Einführung von Internetsperren, Kopierschutzmaßnahmen oder drakonischen Strafen, beeinträchtigen jedoch den libertären Charakter digitaler Medien und widersprechen grundlegenden Rechten der Informationsfreiheit. Sie helfen weder den Urheberinnen und Urhebern noch den Nutzerinnen und Nutzern kreativer Werke.

»Libertärer Charakter« — nette Wortschöpfung. Nur, ist hier die libertaristische (anarchokapitalistische) oder anarchistische Bedeutung angesprochen? Und wie kann ein Medium diesen Charakter haben? Was ist gemeint? Na, egal. Auch hier wird wieder so getan, als stünden Urheber_innen und Nutzer_innen auf der einen Seite der Barrikade und Verwerter_innen auf der anderen. Genaugenommen widerspricht der Satz »Ausschließungrechte … helfen weder den Urheber_innen noch den Nutzer_innen« der gesamten Aussage des Antrags, ja mehr noch, er ist falsch: Selbstverständlich hilft das Ausschließungsrecht den Urheber_innen, nämlich als Verwerter_innen andere auszuschließen. Das genau ist der Zweck des Urheberrechts, der im Kern nicht angetastet werden soll.

Wenn nun die Durchsetzung der Ausschließlichkeitsrechte technisch schwieriger wird und gesellschaftlich in Teilen kritisch hinterfragt wird, kann die Stärkung des Vergütungsanspruches zu Beginn der Verwertung, diese Schwächung der Ausschließlichkeitsrechte in gewissem Maße ausgleichen.

Bitte was soll das bedeuten? Mehr Repression im ersten Jahr als im zweiten? Klingt nebulös.

Kommen wir zu den sog. »Schutzfristen«, noch so ein Euphemismus für den Ausschuss anderer von der Nutzung:

Schutzfristen sollten auf ihren ursprünglichen Zweck zurückgeführt werden, also den unmittelbaren Urheberinnen und Urhebern, nicht aber sekundären oder tertiären Nutznießerinnen und Nutznießern dienen.

Holla, soll das bedeuten, dass DIE LINKE für die Anschaffung der Übertragung von Urheberrechten durch Erbfolge ist, wie von mir schon mal vorgeschlagen? Das wäre eine wirklich sinnvolle Forderung! Allerdings könnte man dies auch etwas deutlicher formulieren.

Auch die neuen prosumtiven Schöpfungsformen kommen vor, neben »Remixes oder Mashups« und »Wikis, Blogs, Foto- und Videoportalen« auch dies hier:

Im Rahmen von Common-based Peer Production (Allmendefertigung durch Gleichgesinnte) sind im Netz unzählige Kommunikationsnetzwerke entstanden, die in ihrem ganzen Reichtum aus dem kulturellen Leben nicht mehr wegzudenken sind.

Nun heißt es bei Yochai Benkler und damit auch bei Wikipedia korrekt zwar Commons-based Peer Production (mit einem »s«, vgl. die Bedeutungsdifferenzen), aber das ist nur eine Kleinigkeit. Gut ist in jedem Fall, dass dieser Aspekt aufgegriffen wird, und auch die Übersetzung ist ganz nett, aktueller wäre vielleicht Gemeingüterfertigung durch Gleichgesinnte. Allerdings werden diese Aspekte nur genannt, weitergehende Perspektiven werden damit nicht verknüpft.

Soweit der allgemeine Teil I des Antrags. Der konkrete Forderungsteil II ist allerdings nicht wirklich konkreter, sondern listet auf, was alles in einem neuen Urheberrecht drin stehen solle. Wichtige Punkte spiegelstrichartig, erstens zur Fremdverwertung:

  • Verhinderung von Total-Buyout (komplette Rechteabgabe)
  • Use-it-or-loose-it-Klausel (was nicht verwertet wird, fällt zurück an den/die Urheber_in)
  • Zeitliche Begrenzung der Rechteübertragung

Zweitens, zum freien Zugang:

  • Vereinbarkeit von CC-Lizenzen mit Verwertungsgesellschaften
  • Open-Data-Pflicht für den Staat
  • Keine Leistungsschutzrechte
  • Nutzung verwaister Werke für nicht-kommerzielle Zwecke (konsequenter wäre: Verwaiste Werke in die Gemeinfreiheit!)
  • Zweitverwertungs (eigentlich: -nutzungs) -Recht für wissenschaftliche Autor_innen
  • Öffentlich geförderte Arbeiten müssen verpfichtend unter Open-Access-Regeln veröffentlicht werden

Drittens, zu den Nutzer_innen:

  • Erhalt (Wiedereinführung?) der Privatkopie, die nicht durch Lizenzen beschränkt werden darf
  • Bagatellregelung für Filesharing, Verhinderung von »Abmahnunwesen« (wo beginnt es?)
  • Ausschluss von Überwachung und Zensur

Viertens, international:

  • Neuregelung der Schutzfristen »nach dem Grundsatz „so lange wie nötig, so kurz wie möglich“« (Was soll das denn heißen?)
  • Ausschluss von DRM

Was fehlt sind klare Aussagen zu

  • Abschaffung der Urheberrechtsübertragung  durch Erbschaft (s.o.)
  • Begrenzung der Exklusionsfristen auf fünf Jahre

…und die Skizze einer Perspektive, wo die Entwicklung denn mal hin gehen soll — wenn nicht in Richtung einer Freien Gesellschaft. Aber das schrieb ich ja schon.

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