Commons-Debatte: open access commons?

Nach der Internationalen Commons-Konferenz in Berlin hat auch die Commons-Debatte einen Schub bekommen. Viele der Teilnehmer_innen diskutieren auf der Commoning-Mailingliste. So eine Debatte auf einer Mailingliste hat trotz des öffentlichen Archivs stets etwas von einem Inner-Circle, der für Leute außerhalb nur schwer zugänglich ist. Deswegen werde ich ab und zu mal was aus dieser Diskussion berichten.

Erstes Thema: Gibt es »open access commons«?

In einer Diskussion auf der Liste verwendete ich für Freie Software flockig den Begriff »open access commons« (deutsch etwa: »frei zugreifbare Gemeingüter«). Es schien mir auf der Hand zu liegen, dass Freie Software nun mal frei heruntergeladen und genutzt werden kann. Ich ernte heftige Einwände von verschiedenen Seiten. Sie haben — kurz gesagt — damit zu tun, dass der alte Fehlschluss der Tragik der Commons von Garrett Hardin weiter wirkt. Wie sieht der aus?

In dem Hardinschen Beispiel schicken nutzenmaximierende Hirten ihr Vieh auf eine Weide, bis diese übernutzt ist und kaputt geht. »Freie Commons bringt allen den Ruin«, schließt Hardin daraus. Entweder der Staat oder ein Privateigentümer müsse daher die Regulation übernehmen. Die neoliberale Ideologie benutzt bis heute die angebliche Tragik der Commons, um Privatisierungen zu rechtfertigen. Zwei miteinander verbundene Fehler stecken in dem Beispiel.

Erstens wird so getan, als ob die Hirten nicht miteinander reden und sich nicht über eine nachhaltige Nutzung ohne langfristige Schädigung einigen könnten. In der Praxis war das nämlich in der Regel der Fall. Hinter dem nutzenmaximierenden Hirten steckt also in Wahrheit das bornierte Bild eines nicht lebensfähigen Homunculus, des homo oeconomicus, wie es in den dogmatischen Wirtschaftstheorien verwendet wird. Ein isolierter Wirtschaftsmensch maximiert vor sich hin.

Zweitens ist die in dem Beispiel verwendete »freie Weide« gar kein Commons, sondern eine common pool resource, also eine Gemeingüter-Ressource. Das ist ein wichtiger Unterschied. Der Begriff Commons schließt nämlich ein, dass da jemand ist, der sich um die Ressource kümmert (wie das die Hirten auch praktisch tun). Der Historiker Peter Linebaugh drückt es so aus: »There is no commons without commoning«, zu deutsch: Ohne Gemeingüterpraxis kein Gemeingut. Im Deutschen ist das Problem übrigens sprachlich noch viel blöder, weil in »Gemeingut« nun mal »Gut« drinsteckt, also irgendeine Sache (stofflich oder nicht). Das Soziale, das Kümmern, das mit einem Gemeingut immer verbunden ist, ist sprachlich leider nicht richtig sichtbar. Deswegen findet man auch in deutschsprachigen Diskussionen häufig die Vermischung von Gemeingut und Gemeingut-Ressource.

Das Hardin-Beispiel mit der Vieh-Weide kommt übrigens auch in dem netten Gemeingüter-Filmchen vor.

Zurück zu der Mailinglisten-Diskussion. Im Englischen ist die Formulierung »open access commons«, wie ich sie verwendete, nun eben mit jenem fatalen Hardinschen Tragik-Mythos verbunden. Obwohl Hardin eigentlich »open access common pool ressource« meinte, also gerade kein Commons, hat er’s nunmal so nicht gesagt. Und falsche Formulierung hat sich so sehr ins kollektive Wissenschaftsgedächtnis eingebrannt, dass man es dort nur sehr schwer wieder rausbekommt.

Deswegen zucken also alle spontan zusammen, wenn sie »open access commons« hören, obwohl das nicht falsch ist (vgl. z.B. Wikipedia) und versuchen eine überladene Begründung hinterher zu schieben: »open access« habe eigentlich immer die Bedeutung »ohne Struktur, ohne Verabredung«, und da Commons nur mal eine soziale Struktur hätten, gäbe es sowas wie »open access commons« gar nicht. — In dem Willen, das Richtige zu tun, nämlich Commons immer mit einer sozialen Regulation in Verbindung zu bringen, wird über’s Ziel hinausgeschossen.

Denn, so stellte Silke Helfrich nochmal klar, »open access« selber ist eine sozial verabredete Regel, wie das Gut genutzt werden könne. Und bei Freier Software oder Wikipedia ist das nunmal »open access«, also freie Nutzung über’s Internet.

Indirekt geschieht mit der Gleichsetzung von »open access = strukturlos« sogar hinterrücks eine Bestätigung der Hardinschen Fehlformulierung (der das übrigens selber später korrigiert hat).

Puh, kompliziert. Was für den einen klar ist, ist es für den anderen überhaupt nicht. Aber der Prozess der Bewusstwerdung der Commons als globale Bewegung auf gemeinsamen Grundlagen hat ja auch erst begonnen.

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