»It’s the internet, stupid«

»Es geht um’s Internet, du Pappnase« — so frech wird, frei übersetzt, den Teilnehmer_innen des LINKEN heute beginnenden Programmkonvents ein Papier (PDF) vor den Latz geknallt, und das ist auch bitter nötig. Denn in Sachen Netzpolitik ist die LINKE denkbar schwach aufgestellt. »DIE LINKE sollte mit ihrem Programm nicht im 20. Jahrhundert stehen bleiben« fordern, flehen, ja betteln die Autor_innen des Papiers. Ob’s hilft?

Acht Themenbereiche macht das Papier aus, zu denen die LINKE sich positionieren solle:

1. Gleichberechtigte Teilhabe und Grundversorgung
2. Demokratie in der digitalen Gesellschaft
3. Daten- und Verbraucherschutz
4. Wissensproduktion und Urheberrecht
5. Veränderte Arbeitswelt und prekäre Beschäftigung
6. Umweltschutz und Nachhaltigkeit
7. Medienkompetenz
8. Rechtsdurchsetzung und Kriminalitätsbekämpfung

Mangels Nerven werde ich hier einen Bereich herauspicken und kommentieren.

Wissensproduktion und Urheberrecht

Vorläufer des Urheberrechts war das Privileg. Die ständische und autokratische Gesellschaft des 15. und 16. Jahrhunderts verlieh das Druck- und Verlagsrecht im Rahmen der politischen und konfessionellen Zensurpolitik. Der Durchbruch des heutigen Urheberrechts als Eigentumsrecht erfolgte im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert in England, Frankreich und den USA, in den folgenden Jahrzehnten im übrigen Europa.

Kreatives Schaffen wurde in Folge durch einen Anteil am Verkaufserlös von Noten, Büchern und später Tonträgern abgegolten. Autoren und Verleger von immateriellen Gütern wie Texten, Bildern, Melodien profitierten von der Denk- und Rechtsfigur des individuellen Eigentums. Damals begann ein langer historischer Prozess der eigentumsrechtlich abgesicherten Kommodifizierung von Kultur, Wissen, Information und Unterhaltung, der am Ende des 20. Jahrhunderts durch Medienkonzentration und Digitalisierung in eine neue Phase eingetreten ist.

So emanzipatorisch die Idee des Urheberrechts war,

Was war an der Idee des Urheberrechts emanzipatorisch? Die Überwindung des Privilegienrechts und der Zensur oder die Durchsetzung des Urheberrechts als Immaterialgüterrecht, als bürgerliches Eigentumsrecht? Oder beides?

so führt die geltende Gesetzeslage heute vielfach dazu, dass Verlage und andere Verwerter den eigentlichen Urheberinnen und Urhebern alle Rechte abkaufen (Total-Buy-Out) – oft zu Preisen, die diesen ein tragfähiges Auskommen nicht ermöglichen. Das Urheberrecht ist weitgehend zu einem Industrierecht verkommen.

Das Urheberrecht ist gut, wenn die Verlage klein sind, es ist schlecht, wenn sie groß sind? Es ist gut, wenn es um die Urheber_innen geht, es ist schlecht, wenn die Verlage marktwirtschaftlich korrekt ihnen die Rechte abkaufen? Was ist eigentlich an Industrie schlecht? Wo bleibt hier die Unterscheidung von Urheberpersönlichkeitsrecht und Verwertungsrecht?

Digitale Technologien bieten die Möglichkeit, Werke deutlich kostengünstiger und unabhängig von solchen Auftraggebern zu publizieren. Die Produktionsmittel liegen nun vollständig in der Hand der Urheberinnen und Urheber. Damit wachsen neue, innovative Produktionsformen in kleinen und kleinsten Strukturen, die auf eine Wirtschaftsweise jenseits der großen Content- und Softwareindustrien verweisen.

Sie verweisen vor allem auf eine Produktionsweise jenseits der Verwertunglogik, gemeinhein bekannt als commons-basierte Peer-Produktion.

Gleichzeitig schwindet die Möglichkeit, über die Vervielfältigung der Werke in Form physikalischer Werkträger Erlöse zu erzielen. Denn im Gegensatz zu traditionellen stofflichen Gütern ist ein informationelles Gut nie exklusives Eigentum.

Das ist schlicht falsch. Ein Immaterialgut ist exklusives Eigentum genauso wie ein Materialgut — das ist gerade der Sinn des bürgerlichen Eigentumsbegriffs: Exklusive Verfügung über ein Gut unter Ausschluss von Dritten. Und genau dafür gibt es für den Bereich der Immaterialgüter u.a. das Urheberrecht (andere Exklusionsrechte mal außen vorgelassen). Vermutlich verwechseln die Autor_innen hier ganz einfach Besitz (als konkrete Nutzungsbeziehung) und Eigentum (als abstrakte Exklusionsform des Rechts).

Die Konsumtion des Originals erzeugt eine Kopie, die dem Original ebenbürtig ist und neben diesem weiter besteht und weitergegeben werden kann. Natürlich sind diese Güter weiter an physikalische Träger gebunden (Speicherchips, Festplatte, CD, DVD etc.), aber sie sind nahezu beliebig oft konsumierbar, sofern genügend Energie für die Wiedergabetechnologien zur Verfügung steht. Insofern ist nicht mehr der Besitz, sondern die Nutzung das Entscheidende.

Hier wird wieder Besitz und Eigentum in eins geschmissen. Tatsächlich wollten die Autor_innen vermutlich sagen, dass »nicht mehr das Eigentum, sondern der Besitz, also die Nutzung das Entscheidende« ist.

Ferner wächst durch die Digitalisierung die Dimension des nicht kommerziellen Werkschaffens und Publizierens rasant. Mit aktueller, oft freier Software und auf Blogs, Wikis, Fotoportalen etc. kann jede und jeder leicht, schnell und auch mit Qualität kreative Werke publizieren. Dabei erstarken insbesondere Formen kollaborativer und kollektiver Kreativität. Entstanden ist eine Kultur von Remixes und Mash-ups. Musikstücke und Filme werden neu kombiniert. Motor dessen ist häufig das Bedürfnis, über einen kreativen Umgang mit Medien an gesellschaftlichen Debatten teilzunehmen.

Das scheint mir Wunschdenken zu sein. Das zentrale Bedürfnis ist die Entfaltung der Kreativität selbst und der Spaß dabei.

Sofern gesellschaftlicher Wohlstand auch Zugang zu Wissen bedeutet und von der Möglichkeit einer Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben abhängt, ist eine solche Teilhabe einem möglichst großen Teil der Bevölkerung zu ermöglichen.

Wenn DIE LINKE diese emanzipatorische Kreativität auch im nicht- und semiprofessionellen Bereich fördern möchte, muss sie eine grundsätzliche Reform des geltenden Urheberrechts erwägen. Dies nicht zu reflektieren, würde bedeuten, Kreativität nur dort einen Wert beizumessen, wo sie wirtschaftlichen Gewinn abwirft.

In der Tat. Allerdings scheinen mir auch die Autor_innen von der Verwertungslogik so weit besetzt zu sein, dass sie die freie Kreativität als Absonderlichkeit betrachten, während die Verwertung das Normale ist. Verwertung bedeutet Eigentum bedeutet Exklusion Dritter. Und bei Immaterialgütern kommt hinzu: Verwertung bedeutet künstliche Knappheit (das wollten die Autor_innen eigentlich oben ausdrücken, nur fehlten die Begriffe).

Ein Festhalten an technisch überkommenen Geschäftsmodellen der Kreativindustrie jedenfalls kann nicht Ziel einer zukunftsfähigen LINKEN sein. Gleichwohl müssen wir uns für eine sozialverträgliche Transformation auch dieses Beschäftigungsfeldes stark machen.

Transformation — wohin? Will die LINKE in den Wettbewerb um tolle, neue »Geschäftsmodelle« eintreten?

Im Programmentwurf werden der „Schutz kreativer Urheberrechte und die freie Nutzung des Internets“ (Seite 20) aufgezählt, als gebe es hier keinen aufzulösenden Widerspruch. DIE LINKE muss Antworten auf die Frage nach einem Urheberrecht im Digitalzeitalter leisten. Sie muss eine plausible Antwort bieten, wie Journalisten, Autoren, Musiker, Webdesigner, Spieleentwickler u.v.m. eine gerechte Entlohnung erzielen können.

Was im ersten Satz richtig erkannt wird, wird im zweiten und dritten wieder über Bord geschmissen: Wer Urheberrecht sofort und ausschließlich in den Kontext der Verwertungslogik stellt, wird den Widerspruch zwischen Urheberrecht (=künstliche Knappheit und Exklusion Dritter) und freier Nutzung des Internet (=Reichtum für alle durch Inklusion aller) nicht lösen.

Unsere Aufgabe ist es auch, über neue Modelle der Finanzierung kreativer Werke nachzudenken. Dazu zählt auch die Prüfung der Vor- und Nachteile einer pauschalen Gebühr zur Nutzung „geistigen Eigentums“ durch die Haushalte (Kulturflatrate) oder anderer Bezahlmodelle wie Micro Payments.

Eine Pauschalabgabe ist kein Bezahlmodell, aber ist ist schon nur noch Kleinkram.

Mindestvergütungen analog der Freien Berufe, können möglicherweise Kreativen und Beschäftigten in einer digitalen Arbeitswelt, die von Scheinselbstständigkeit und prekären Lebensrealitäten dominiert wird, ein auskömmliches Einkommen bieten. Zugleich ist ergebnisoffen zu prüfen, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen unter den neuen Verhältnissen eine angemessene Antwort sein kann.

Nun ja, das Grundeinkommen ist in der LINKEN sehr umstritten. Das Grundeinkommen könnte zumindest das Denken auflockern: Es würde erheblich helfen, wenn die Diskussion um die kulturellen Commons — denn darum geht es — nicht sofort und kurzschlüssig mit der Verwertungsfunktion, die das bürgerliche Recht bereithält, kurz schließt. Der halbwegs deutlich identifizierte Widerspruch zwischen Fülle und künstlicher Verknappung zwecks Verwertung (s.o.) kann nur offen bewegt werden, anstatt ihn durch Kurzschluss immer wieder zu verdecken. Lösen kann man ihn unter kapitalistischen Bedingungen nicht. Eine solche Erkenntnis wäre schon viel »wert«.

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