Ein Beitrag zur Commons-Debatte

Ich möchte gerne die Frage nach der Definition von Commons aus dem Beitrag im CommonsBlog „Revolution ist nicht für Gemeingüter kämpfen, sondern durch sie“ wieder aufnehmen, also die Frage, dass Commons immer eine CPR (Common Pool Ressource) brauchen, eine Community, das Commoning, Regeln oder was auch immer und schließlich Produkte das Endergebnis dieses Prozesses sind.

Ich sehe das auch so, dass jedes Common schon ein Produkt von Commoning ist, auch wenn es sich um einen Rohstoff handelt, weil er eben durch eine bestimmte soziale Praxis erst zum Common wird und auch wenn es sich um soziale oder kulturelle Commons handelt. Und dass das Produkt einer Produktionsstufe wieder zur Ressource für eine nächste Produktionsstufe werden kann. Nicht mehr so ganz klar ist für mich aber, warum es dann Sinn macht, so deutlich zwischen beiden zu unterscheiden und es als linearen Prozess mit einem klaren Anfangs- und Endpunkt darzustellen, also: Es braucht einen Ausgangspunkt = CPR, eine Handlung und ein Produkt – und aus.

Denn etwas als Common zu behandeln ist ja kein einmaliger Prozess, sondern muss ein Dauerzustand werden. Damit Commons bestehen können, müssen sie ständig reproduziert werden. Die Weide, der Fischgrund und die Demokratie sind ja nie ein für alle Mal ein Common, sondern immer nur solange sie als solche (re)produziert werden, solange sich also Menschen finden, die sich darum kümmern.

Ich plädiere für die von Silke vorgeschlagene Spirale in der Form, dass ausgehend von Ressource / Produkt (als eine Einheit) über Commoning wieder Ressource / Produkt entstehen, dann wieder Commoning, usw. Dass die Ressource sich dabei vermehrt, würde ich – zumindest solange es sich um eine stoffliche Ressource handelt – bezweifeln, weil stoffliche Prozesse immer Reibungsverluste haben, aber zumindest wird der Bedarf an Nachschub des Rohstoffes stark eingeschränkt.

Von diesem Punkte aus habe ich mir ein paar Gedanken, auch an Hand konkreter Beispiele gemacht:

  1. Wenn wir von so einer Spirale ausgehen, davon, dass jedes Produkt im Commons-Kreislauf wieder Ressource sein kann, dann ist es aber doch so, dass an jeder dieser Stellen dieses Ding auch angeeignet werden kann, aber auch von den Herstellern verkauft werden kann. In beiden Fällen hört es auf ein Common zu sein, ich würde aber doch annehmen, dass es einen Unterschied macht, an welcher Stelle in dieser Produktionskette, also noch als Rohstoff oder schon als relativ hoch entwickeltes Produkt, ein Ding angeeignet wird. Auch die Nutzergruppe und die Regeln ändern sich vermutlich mit dem Verarbeitungsgrad. Also, wenn wir nicht zwischen Rohstoffen und Endprodukten unterscheiden (was ich, wie gesagt richtig finde), dann müssen wir möglicherweise doch zwischen Produkten mit unterschiedlich hohem Verarbeitungsgrad unterscheiden, um Unterschiede in den sozialen Auswirkungen von Aneignungsprozessen und in den Anforderungen an Regeln und an die Community unterscheiden. Und weiters wirkt sich möglicherweise die Art und die Ebene der Aneignung darauf aus, ob und wie lange es möglich ist, den Rohstoff als Common zu erhalten.
  2. Ich versuche das mal an einem Beispiel zu illustrieren: ein Ölfeld als CPR. Dieses Ölfeld kann als Common genutzt werden, ist also dann das erste Produkt in der Produktionskette und das Ausgangsprodukt für den nächsten Produktionsschritt. Dann kommt die Förderung des Öls, die Fraktionierung in die verschiedenen Bestandteile, die ihrerseits wieder weiter verarbeitet werden, z.B. in ein Kunststoffgranulat. Daraus wird dann irgendein Gebrauchsgegenstand gemacht und dieser wird, zumindest meistens, nach einiger Zeit, wenn er kaputt ist, oder nicht mehr gefällt, weggeworfen. Es gibt also so etwas wie ein Endprodukt, das dann in den meisten Fällen wirklich in Privateigentum übergeht, außer es ist vielleicht eine Schüssel, die in der Vokü verwendet wird. Aber es hat sicher unterschiedliche Auswirkungen ökologischer und sozialer Natur, ob bereits das Ölfeld angeeignet wird, ob erst irgend ein höheres Produkt, also z.B. die Schüssel, weil ja jedes angeeignete Produkt für die Gemeinschaft als Ressource verloren geht.
  3. Das enthält meiner Meinung nach auch einen wichtigen Aspekt für die Frage, wann Commons für den Kapitalismus funktional sind, nämlich, bis zu welchem Verarbeitungsniveau. Vermutlich kann es durchaus auch für die Möglichkeiten der Kapitalverwertung Sinn machen, ein Öllager als Common zu behandeln, vielleicht sogar noch das Rohöl, aber irgendwann dann muss die Aneignung erfolgen, sonst gibt’s ja keine Profitmöglichkeit. Die Verwendung der Schüssel in der Vokü ist das andre Extrem, also eine commons-based peer production bis zum Schluss, wo die Funktionalität für das Kapital maximal noch in einer Verringerung der Reproduktionskosten für menschliche Arbeit liegen kann, aber mit dem Ding selber können sie kein Geld mehr verdienen.
  4. Wenn ich nun an das cradle-to-cradle–Prinzip denke, dann bringt das eine wesentliche Veränderung in dieses Modell ein – es gibt kein Endprodukt. Also die Schüssel würde, wenn sie nicht mehr gebraucht wird, an einer tieferen Stelle wieder in den Produktionskreislauf eingebracht, wäre also wieder Ressource. Damit könnte dieser Kreislauf zu einem hohen Grad selbsterhaltend gestaltet werden, d.h. der Nachschub an Rohstoff von unten könnte stark verringert werden. Und, da jedes Produkt Ressource für ein weiteres ist, muss man ihm auch andere Aufmerksamkeit schenken, d.h. selbst wenn jemand diese Schüssel mit nach Hause nimmt, hat er noch kein Verfügungsrecht, sondern nur ein Nutzungsrecht und muss, wenn sie kaputt wird, diese wieder in den Kreislauf eingliedern. Das bedeutet, dass an keinem Punkt der Produktionskette Privateigentum geschaffen werden kann, und das bedeutet eine grundlegende Änderung in der Logik der Produktion: nicht mehr so billig wie möglich so viel wie möglich herzustellen und nach mir die Sintflut, sondern Dinge so zu produzieren, dass sie möglichst vollständig wiederverwertbar werden. Das ändert auch soziale Beziehungen, wie aus diesem Interview ersichtlich ist: Albin Kälin, Geschäftsführer des EPEA-Instituts sagt im Interview in der Beilage zum Standard vom 9. April 2010:
    “Das Ganze erfordert einen Paradigmenwechsel in der Industrie. Sämtliche Geschäftsaktivitäten müssen verändert werden, weil Materialien bzw. Rohstoffen eine andere Bedeutung zukommt. Wir müssen andere Transparenzen und Interaktionen zu den Lieferanten im Netzwerk schaffen. Aber auch zu den Kunden und Konsumenten. Die Unternehmer wollen wissen, wo die Rohstoffe, die sie wieder benötigen, im Kreislauf bleiben”.
    Nun ist das natürlich noch nicht Commoning, und die Dinge sind deswegen noch keine Commons, aber eine solche Denkweise macht es leichter – und auch logischer – Dinge als Commons zu behandeln.
  5. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Dinge, die grundsätzlich nicht für solche Dauerkreisläufe geeignet sind, weil sie in der Reproduktion verbraucht werden, z.B. Brot. Auch da kann man dieses Spiel spielen: Getreidefeld, Getreide, Korn, Mehl, Brot, jede dieser Stufen kann eine Schnittstelle zum Markt sein – aber egal wie ich das Brot verteile, ob nach dem Commons-Prinzip nach den Bedürfnissen oder nach dem Markt-Prinzip nach Bedarf, wenn ich es mit nach Hause nehme, ist es mein Eigentum und wenn ich es gegessen habe, ist es weg. Und hier wird für mich die Frage nach dem Geld interessant, also die Frage, ob und wie Geld beim Commoning eine Rolle spielen kann und wie ein Kopplung zum Marktsystem ausschauen kann.
  6. Natürlich kann man Brot, das in gemeinschaftlicher Produktion hergestellt wird, auch den Bedürfnissen entsprechend, also ohne Geld und Tausch, verteilen. Andererseits, solange die Welt in der wir leben so ist, wie sie ist, brauchen wir ja immer auch Geld, weil wir nicht alles außerhalb des Marktes produzieren können. Geld, das wir uns irgendwie aus dem System holen müssen. Wenn wir das Brot, das wir herstellen, nicht nur innerhalb der Community verteilen, sondern so viel da ist, dass es für mehr Leute reicht, wäre der Verkauf des Brotes eine Möglichkeit, zu Geld zu kommen. Wenn jetzt die Menschen die das Brot gebacken haben und diejenigen, die es kaufen wollen, sich den Preis des Brotes so aushandeln, dass es für alle passt (also diejenigen, die gebacken haben, genug dafür bezahlt bekommen und diejenigen, die kaufen wollen, es sich auch leisten können), wenn man dadurch Wettbewerb vermeidet und noch Vorkehrungen trifft, dass diejenigen, die es sich nicht leisten können, auch nicht hungern müssen (so wie z.B. in diesem Bericht vom Markt in Ecuador), dann könnte man doch diese Preisfestlegung als Teil der Commons-Regelung begreifen. Hier wird zwar getauscht, aber es handelt sich nicht um einen Äquivalententausch wie im kapitalistischen Markt, nicht wie Stefan geschrieben hat, um eine Kopplung „über Geld nach den üblichen Marktregeln“. Und da ja das Brot nach der Verteilung sowieso zu Privateigentum würde, ändert das nichts an der Gesamtsituation, unterbricht also auch nicht das Commoning.
  7. Und noch einen letzten Punkt: In einer Diskussion hat ein Bekannter kürzlich Bedenken geäußert darüber, dass begrenzte Ressourcen, die der engen Commons-Definition von Ostrom entspreche, die also diese klar begrenzte Benutzergruppe brauchen, mit Open-Access-Ressourcen wie freier Software oder sozialen und kulturellen Commons in einen Topf geworfen werden. Er meinte, das genau nehme der Commons-Diskussion ihre Schärfe und Treffsicherheit und würde möglicherweise eher schaden als nützen. Ich denke, dass es trotzdem Sinn macht. Begrenzte Ressourcen sind durch Übernutzung genau so bedroht, wie kulturelle und soziale Ressourcen durch Nichtnutzung, daher kann es durchaus sinnvoll sein, ein Dach zu finden, unter dem beide gemeinsam verteidigt und bewahrt werden können. Und die sozialen Prozesse und Beziehungen, die dazu notwendig sind, sind sehr ähnlich. Es geht eben in beiden Fällen um Dinge, die wir zum (guten) Leben brauchen, die sozial hergestellt sind und um die wir uns gemeinsam kümmern müssen. Dass die Regeln dafür eben unterschiedlich sind, das sollte uns daran nicht hindern, und genau darauf hinzuweisen, ist ja eine Qualität des Commons-Ansatzes. Und außerdem denke ich, dass diese beiden Aspekte möglicherweise auch in einem direkten Zusammenhang stehen, diese Idee ist mir bei einer Diskussion um Landraub in Indien beim BUKO-Kongress gekommen (also doch noch ein allerletzter Punkt 😉 ):
  8. Durch die Bodenreform in Indien kommt es immer wieder dazu, dass Land, das davor für Lebensmittelproduktion benutzt wurde, von der Regierung aufgekauft und an Konzerne weitergegeben wird, die dort Fabriken bauen, was zum Wirtschaftswachstum beitragen soll, aber vielen Menschen ihre Lebensgrundlagen raubt. In dem Zusammenhang beziehen sich Basisgruppen und NGOs häufig auf Menschenrechte, auf das Recht auf Ernährung um dagegen vorzugehen. Und es wurde uns klar, dass Menschenrechte als abstrakte Idee nicht in der Lage sind, solche Dinge zu verhindern, sondern dass es notwendig ist, dass es immer wieder Menschen gibt, die sich dementsprechend verhalten, die sich Dinge aneignen, die ihnen diese Rechte sichern, die diese Rechte einklagen und auch Richter, die sie ihnen zusprechen. Menschenrechte können also nur durch eine entsprechende soziale Praxis umgesetzt und erhalten werden, sind also ein soziales Common, das nur erhalten werden kann, wenn möglichst viele Menschen sich darum kümmern, dass es angewendet wird. Nur das sichert umgekehrt den Bauern die Bewahrung ihres Landes als Common, in dem Fall eben als begrenztes für jeweils eine bestimmte Nutzergruppe. Was ich sagen will: Kultur, Sprache, Gesetze, Rechte sind ein Produkt sozialen Handelns, die Bewahrung von Commons entspricht einer bestimmten Kultur und braucht besondere Gesetze und Rechte. Diese müssen von vielen Menschen durch soziale Praxis bewahrt werden, damit stoffliche Commons, wie Land, Wasser, Atmosphäre, usw. als begrenzte Ressourcen auch als Commons mit ihrer jeweiligen Nutzergruppe bewahrt werden können. Möglicherweise sind die beiden also sogar ganz konkret aufeinander angewiesen, auch wenn man diesen Zusammenhang natürlich nicht immer so deutlich zeigen kann. Möglicherweise geschieht ja die Bewahrung stofflicher Commons, also begrenzter Ressourcen sogar im gleichen Prozess wie die Erzeugung sozialer und kultureller Commons?

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