com.munismus.komm! Patente Sachen über Wissen, Arbeit und Eigentum

Die Zeitschrift »prager frühling« ist inhaltlich mit der Emanzipatorischen Linken verbunden, der am wenigsten »traditionalistischen« Strömung in der Linkspartei. Redakteurin und Leitfigur ist die Bundestagsabgeordnete Katja Kipping. Das »Magazin für Freiheit und Sozialismus« (hm, ist Freiheit und Sozialismus tatsächlich additiv und nicht inklusiv?) führte mit Sabine Nuss und mir ein längeres Gespräch zum Thema Wissen, Produktionsweise und Keimform.

Das im folgenden veröffentlichte, gekürzte Gespräch repräsentiert ein gefühltes Fünftel von dem, was wir diskutiert hatten.

Here we go:

Das neue Wissen?

Sabine Nuss und Stefan Meretz im Streitgespräch

prager frühling: Neulich warf mir ein Gewerkschafter vor, dass die Überwindung von Urheber- und Patentrechten „irre“ sei. Stefan, wie irre ist eigentlich deine Keimform-These?

Stefan Meretz: Der Vorwurf zeigt, dass die Debatte für die Gewerkschaften immer enger wird. Sie werden von zwei Seiten unter Druck gesetzt – von den Unternehmen und von der Commons-based Peer Production. Die Keimform-These geht davon aus, dass sich zunächst die produktive Basis verändern muss, bevor es zu einem politischen Umschwung kommen kann. Die Überwindung des Kapitalismus erfolgt nicht primär durch eine politisch intendierte Transformation, sondern durch den Aufbau einer neuen Art der Produktion.

Sabine Nuss: Das hört sich ein wenig nach „Basis-Überbau“ an.

Meretz: So meine ich das nicht. Mir geht es um folgendes: Eine neue Produktionsweise darf sich nicht mehr über Geld, Markt und Staat, sondern sie kann sich nur kommunikativ vermitteln.

pf: Kannst du das näher erläutern?

Meretz: Also beispielsweise in der commens-basierten Wissensproduktion. Die Tatsache der prinzipiellen Nichtknappheit der Wissensgüter – die Verknappung durch Patent- und Urheberrechte ist eine künstliche – macht es natürlich leicht sie, zu kopieren und auszutauschen.

pf: Sabine, teilst du diesen Optimismus?

Nuss: Ich hatte zunächst einen analytischen Blick und gefragt, wie ist es eigentlich im Kapitalismus möglich, mit etwas Geld zu machen, das alle frei haben können. Meines Erachtens ist Freie Software nicht schon das ganz Andere, sie steht im Einklang mit der kapitalistischen Produktionsweise. Aber es zeigen sich durchaus Spannungsverhältnisse, weil die Open-Source-Bewegung das Wissen immer wieder öffnet. Auch sind die Akteurskonstellationen kompliziert, sie beschränken sich nicht nur auf AnbieterInnen und UserInnen. Im Kapitalismus gab es schon immer Sphären, die nicht über Warentausch organisiert sind, z.B. die weiblich dominierte Reproduktionssphäre, affektive Arbeit oder Planungsprozesse in großen Unternehmen – nicht alles ist warenförmig im Kapitalismus.

Meretz: Ich stimme dir zu, dass es viele Bereiche gibt, die der Ware-Geld-Beziehung entzogen sind. Aber ich würde dieses Argument für die Keimform-These reklamieren. Ich will das anhand eines Fünf-Punkte-Modells der gesellschaftlichen Transformation erläutern: In einem ersten Schritt gilt es die Keimform zu identifizieren, zweitens müssen krisenhafte Bedingungen hinzukommen. Das heißt, der Kapitalismus muss ernsthafte Schwierigkeiten haben, die gesellschaftliche Produktion zu organisieren. Im dritten Schritt wird nun die doppelte Funktion der Keimform interessant. Sie muss für den Kapitalismus funktional sein und gleichzeitig inkompatibel zu seiner Kernlogik. Funktional muss sie sein, weil sie sonst nicht bestehen könnte. Der Nutzen der Freien Software für den Kapitalismus besteht in einer Kostenentlastung für die Unternehmen. Gleichzeitig muss eine Inkompatibilität bestehen, d.h. die Produktionsweise darf nicht auf der gleichen Logik basieren. Und das tut die Freie Software nicht. Sie läuft eben nicht über die Ware-Geld-Beziehung, sie ist nicht auf die Ware-Geld-Vermittlung angewiesen, und sie ist verallgemeinerbar.

pf: Das waren aber jetzt nur drei Punkte.

Meretz: Im vierten Schritt kommt es zum Dominanzwechsel, das heißt, die neue Produktionsweise löst die alte als bestimmende ab. Fünftens schließlich richten sich alle gesellschaftlichen Bereiche auf die neue Logik der Produktion aus. Nicht mehr der Umweg über Markt, Ware und Geld sorgt für die gesellschaftliche Vermittlung, sondern die Produktion ist „unmittelbar gesellschaftlich“, wie Marx das nennt.

Nuss: Für mich ist die freie Softwareproduktion eher ein Moment, das nochmal auf ganz eigene Weise erfahrbar macht, dass es auch Produktionsweisen gibt, die jenseits des Ware-Geld-Tausches funktionieren. Zudem macht sie aufmerksam auf die spezifische Irrationalität der kapitalistischen Produktionsweise und deren Beschränktheit. Die Softwareproduktion kann, muss aber nicht einen Lernprozess befördern. Ein grundsätzlicher Wandel ist ohne soziale Kämpfe und die Änderung von Machtverhältnissen nicht zu haben.

pf: Es wurde jetzt viel über Software gesprochen. Aber auch um pharmazeutische Produkte gibt es ja intensive Auseinandersetzungen. Seht ihr in diesen Kämpfen emanzipatorischen Gehalt?

Nuss: Grundsätzlich sehe ich überall Widersprüche in der kapitalistischen Gesellschaft. Es gibt einen Unterschied zwischen patentierten pharmazeutischen Produkten einerseits und Urheberrechten, wo es eher um kreative Schöpfung geht, andererseits. Medikamente lassen sich schließlich nicht mal eben per Mausklick kopieren und übers Netz verbreiten. Sie sollen für arme Länder aus humanitären Gründen billig sein, während der digitale Song von Madonna frei verfügbar sein soll, weil er sich im Gebrauch nicht verbraucht. Emanzipatorisches Potential würde ich sehen, wenn Medikamente als öffentliches Gut umsonst wären.

Meretz: Ja, das sind brisante Kämpfe, in die sich sogar Regierungen einmischen – wie Indien oder Brasilien. Wenn man über Patente nachdenkt, muss man aber den ganzen Charakter des Patentsystems verstehen. Und der besteht nicht nur darin, die Verwertbarkeit sicherzustellen. Man muss einfach wissen, dass von allen eingereichten Patenten auf europäischer Ebene nur 20% verwendet werden. Das ganze Patentsystem ist absurd. Es geht nämlich nicht darum, die Produktion zu organisieren oder zu stimulieren. Es ist eine Art Blockadesystem geworden.

Nuss: Klar geht es dabei indirekt immer auch um Verwertung. Das Beispiel von Stefan zeigt doch vielmehr, dass die Durchsetzung konkurrierender Verwertungsinteressen auch für das Kapital selbst dysfunktional werden kann. Der Markt ist anarchisch und kann diese Dysfunktionalitäten nicht antizipieren. Übrigens gibt es auch von Seiten des Kapitals das Interesse, Wissen frei verfügbar zu halten. Denn auch die einzelnen Unternehmen wollen natürlich möglichst billig Zugriff auf den Nutzen von bereits entwickeltem Wissen haben. Einmal mehr ein Widerspruch zwischen Einzel- und Gesamtkapital, der sich hier besonders schön zeigt: Du gibst mir dein Wissen umsonst, aber mein Wissen muss geschützt sein.

Nuss + Meretz zusammen: Meine Arbeiter sollen niedrige Löhne haben, aber deine bitte hohe, damit meine Sachen gekauft werden.

Meretz: Ich will noch ein anderes Beispiel nennen: Die Patentverwertungsagenturen, die den Universitäten jetzt aufgedrückt wurden. Die Universitäten sollen jetzt – obwohl sie mit öffentlichen Geldern forschen – zuerst überprüfen lassen, ob ihre Forschungsergebnisse patentfähig sind. Die Patentierungszahlen an den Hochschulen haben sich daher in den letzten Jahren verzehnfacht. Aber vom allgemein menschlichen Standpunkt aus betrachtet, ist das eine Blockade der Produktivkraftentwicklung. Diese Verfahren führen dazu, dass das, was Wissenschaft ausmacht – nämlich den Austausch zwischen WissenschaftlerInnen – stark eingeschränkt wird.

Nuss: Ganz generell ist es für die Entwicklung von Wissen besser, wenn es frei verfügbar ist. Man darf ja sogar in die Patente rein gucken. Du darfst halt nur nicht damit produzieren und damit Geld verdienen. Dazu ist die Sicherung von Eigentum eine der Grundvoraussetzungen. Deshalb wird ja auch immer erzählt, nur Privateigentum sei effizient. Was dabei vergessen wird, ist zu sagen: Nur im Kapitalismus – denn da hat dieser Satz seinen Sinn.

pf: Aber was folgt eigentlich aus der Keimform-Debatte für eine emanzipatorische Strategie? Kann man denn aus den Kämpfen in der Wissensproduktion Strategien für einen allgemeinen politischen Kampf extrahieren?

Meretz: Die Gewerkschaften beispielsweise müssen ihre immanenten Klientelinteressen – oder sagen wir ruhig Klasseninteressen – verteidigen. Meine Gewerkschaft, ver.di, steht jetzt vor dem Widerspruch, ob sie die Position der Urheberrechtsextremisten einnehmen oder ob sie emanzipatorische Ansätze, die mit Creative Commons, also mit einer Liberalisierung, nicht Abschaffung des Urheberrechts, verbunden sind, unterstützen. Ich glaube, die Gewerkschaften sollten sich neue Formen der Absicherung der Beschäftigten in kreativen Berufen überlegen. Denn das Urheberrecht wird faktisch langsam zersetzt, einfach, weil es die Menschen in ihrem täglichen Handeln nicht mehr akzeptieren.

pf: Ist dann Raubkopieren ein emanzipatorischer Akt?

Nuss: Also da möchte ich widersprechen. Ich glaube, dass vieles von dem, was umsonst herunter geladen wird, überhaupt nicht gekauft werden würde. Was ich so in den letzten zehn Jahren subjektiv beobachte, ist, dass das Unrechtsbewusstsein deutlich gestiegen ist. Jetzt wird oft argumentiert: Die Leute müssen ja auch von etwas leben.

Meretz: Also ich bezweifle, dass es sich überhaupt um „Diebstahl“ handelt, so argumentiert ja die Verwertungsindustrie. Es geht ja nichts verloren.

Nuss: Aber Eigentum macht sich doch nicht an der stofflichen Substanz fest oder weil es nicht verloren geht. Auch immaterielle Güter sind durch das bürgerliche Recht geschützt. Stefan, dir geht es offenbar um eine politische Bestimmung von Diebstahl.

Meretz: Ja. Wenn ich dir diesen Apfel hier wegnehme (nimmt sich einen Apfel von Sabines Schreibtisch und beißt ab), ist er weg. Ein digitales Gut wäre noch da. Auf diesen praktischen Unterschied muss ich doch noch bestehen.

Nuss: Bon Appetit. Dennoch: Das Kopieren digitaler Güter ist nicht per se eine politische Strategie.

pf: Wo wir jetzt gerade wieder bei politischen Strategien sind. Diskutiert wird ja beispielsweise auch über eine Kulturflatrate oder über eine soziale Grundsicherung. Das sind doch auch Strategien, bei denen wie in der Commons-based Peer Production die Ware-Geld-Beziehung außer Kraft gesetzt wird.

Nuss: Es gibt ja schon Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort. Klar, man könnte auch eine Kulturflatrate einführen. Aber ich glaube, das hat alles Grenzen und kann den Kreativen nicht wirklich ein sicheres Einkommen garantieren. Woher soll die Masse an Einkommen für alle prekär arbeitenden kreativen Köpfe denn kommen? Da ist man dann sehr schnell bei der Frage des Grundeinkommens für alle. Das Fass will ich jetzt gar nicht aufmachen. Was mir aber wichtig wäre: Zeit und Entschleunigung sind wichtige Voraussetzungen dafür, überhaupt Denk- und Handlungsräume zu öffnen, auch für ein anderes Wissen über die Produktion von Wissen. Ein Transformationsprozess muss an vielen Stellen gleichzeitig ansetzen: Wir brauchen Arbeitszeitverkürzungen und Räume, in denen Menschen zusammen kommen können. Notwendig wäre auch zu überlegen, wie man gerade insolvente Betriebe den Belegschaften übertragen kann. Wir müssen mehr im Bereich der Produktion verändern und nicht immer in diesen Sphären von Freiwilligkeit oder staatlicher Finanzierung denken.

Meretz: Das Problem ist hier, dass man dafür die Maschinen braucht, die man nur über die Ware-Geld-Beziehung bekommt. Da müssen kreative Projekte genau aufpassen. Wenn ein Projekt sagt, wir müssen unsere Produkte verkaufen, um es zu finanzieren, ist der Rubikon bereits überschritten. Weil man dann die innere Logik mit der äußeren Logik, die einem fremdbestimmt vorgesetzt wird, miteinander verknüpft. Eine Variante, wo ich in Ansätzen eine Entkopplung dieser beiden Logiken umgesetzt sehe, ist das Miethäusersyndikat.

pf: Kommen wir zum Abschluss zur beliebten Subjektfrage: Sind die WissensproduzentInnen das neue revolutionäre Subjekt?

Nuss: Der Kapitalismus wird meines Erachtens nicht an den Widersprüchen der Wissensproduktion scheitern. Nebenbei bemerkt: Eine Umfrage unter freien Softwareentwicklern hat gezeigt, dass diese vielfältige Motivationen haben. Aber ein Problem mit dem Kapitalismus haben sie nicht.

Meretz: Die Software-Entwickler insgesamt haben sicherlich kein explizit politisches Bewusstsein. Dennoch stoßen sie auf bestimmte Widersprüche wie z.B. beim Urheberrecht. Aus dieser Erfahrung kann sich durchaus kritisches Bewusstsein entwickeln.

Infokasten

„Commons, zu Deutsch Gemeingüter, sind Güter, die von einer Gemeinschaft entwickelt und gepflegt werden, und die für die Nutzer/innen nach gemeinsam festgelegten Regeln verfügbar sind. (…) Der Ausdruck Peer-Produktion bezeichnet die freiwillige Kooperation zwischen Gleichberechtigten (englisch „Peers“) die zu einem gemeinsamen Ziel beitragen. Man kooperiert mit anderen also nicht, weil man Geld verdienen möchte oder (…) dazu gezwungen wird. (…) Die commonsbasierte Peer-Produktion bringt beides zusammen: Peer-Produktion, die auf Gemeingütern aufbaut und die ihrerseits neue Gemeingüter herstellt oder die vorhandenen Gemeingüter weiterentwickelt und pflegt. Der Übergang zwischen beidem – Neues hervorbringen und Vorhandenes erhalten – ist dabei fließend. (…)“ Vgl.: Siefkes, Christian: http://www.keimform.de/2010/selbstorganisierte-fuelle-1/

Autoreninfos

Sabine Nuss ist Referentin für politische Bildung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Redakteurin der PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft. Sie ist Autorin von „Copyright&Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus“ (Münster, 2006).

Stefan Meretz betreibt und ist beteiligt an verschiedenen Blogs rund um die Themen Keimform, Freie Software und Commons-based Peer Production. U.a. bloggt er auf www.keimform.de.

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