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Über rechtsfreie Räume und andere Scheidewege

CC-BY-SA von ksuehring [1]

Die Debatten um die Gestaltung der digitalen Zukunft werden schärfer. Man kriegt den Eindruck die alten Eliten merken erst jetzt so langsam, was da auf sie zu rollt. Deswegen ist ihr zwar nicht mehr ganz so neuer Schlachtruf, der der Netzgemeinde nun aus allen Ecken entgegenschallt:

„Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein!“

Die nachvollziehbare Reaktion aus dem Netz lautet meist in tausendfacher Variation:

„So ein Unsinn! Hier gibt es jede Menge Gesetze die zu beachten sind!“

und vielleicht dann auch noch mit einem defensiven

„Das Internet darf kein bürgerrechtsfreier Raum sein!“

So weit so richtig. Jedem der sich mal mit Publizieren im Netz beschäftigt hat wird mulmig bei dem zu beachtenden Dschungel an Lizenzen und AGBs, Impressumpflichten und Störerhaftung [2], Datenschutz und Urheberrechten. Jedoch meinen die alten Eliten im Grunde etwas anderes und zu anderen Gelegenheiten ist das der Netzgemeinde auch völlig bewußt: Im Kern ist das Netz unkontrollierbar, oder wie es John Gilmore schon 1993 so treffend und tausendfach zitiert sagte:

„The Net interprets censorship as damage and routes around it.“

Meistens werden in diesen Diskussionen um irgendein Feld im Netz, das es zu kontrollieren gilt, dann jede Menge Vergleiche aus der analogen Welt bemüht. Meistens kommen Zäune und Diebe drin vor und der gute Schutzmann von der Wache um die Ecke. Diese Vergleiche sind meist Unsinn weil sie die zentrale Eigenschaft der digitalen Welt außer Acht lassen: Die fast kostenlose digitale Kopie. Das bedeutet nämlich, dass es nur einem Dieb auf der ganzen Welt gelingen muss über irgendeinen Zaun zu klettern ohne dass er erwischt wird und schon können alle anderen davon profitieren.

Das bedeutet nicht, dass der Kampf um ein freies Internet schon gewonnen ist. Es bedeutet aber, dass, wenn er verloren geht, der nette Schutzmann von Nebenan sich in eine ziemlich unangenehme Horde Schnüffler und Schläger verwandeln muss. Oder anders gesagt: Mit dem Umgang mit der digitalen Welt steht unsere Gesellschaft auch vor einer digitalen Wahl: Polizeistaat oder Völlige Freigabe aller Information. Es mag ein paar Jahre des Lavierens geben in denen alle möglichen Regulierungen und Stoppschilder eingeführt werden. Aber jede einzelne dieser Maßnahmen wird auf Grund der Natur der digitalen Kopie nach relativ kurzer Zeit entweder komplett wirkungslos oder verschärft, es gibt also nur die beiden genannten Attraktoren. Entweder man lässt der digitalen Kopie freien Lauf oder man schränkt sie ein und setzt das durch zunehmend martialische Polizeimaßnahmen durch. Im Iran sehen wir gerade, wie das aussieht. Dort ist es die Kritik an der Regierung die in erster Linie verfolgt wird, bei uns wird es wohl eher auf Verletzungen an Eigentumsrechten im digitalen Raum hinauslaufen, die massiv verfolgt werden (oder eben zugelassen).

Bis hierhin hat das alles im Grunde Kristian Köhntopp schon einmal viel schöner beschrieben [3].

Was bedeutet das aber für uns die wir nicht nur den Status Quo einer halbwegs liberalen Gesellschaft erhalten sondern darüber hinaus eine erreichen wollen in der Markt und Staat nicht mehr die hegemoniale Rolle wie heute spielen und am besten ganz verschwinden? Wenn etwas klar geworden sein sollte in all den Jahren in denen wir uns jetzt mit der Frage der Transformierbarkeit beschäftigen, dann ja wohl, dass die Möglichkeiten der digitalen Kopie vielleicht keine hinreichende aber doch zumindestens heute notwendige Bedingung zur Erreichung unserer Ziele sind. Erst letztens wieder habe ich gelernt [4] wie wichtig Kommunikation und Information für die Commons schon immer waren. Deswegen ist auch meine Wahl klar, wenn auch aus anderen Gründen als bei Kristian: Für die digitale Kopie! Für die Commons!

Annette hat letztens ausgeführt [5], dass es einen ähnlichen Bifurkationspunkt [6] auch in der Frage des Klimas gibt. Auch dort entscheidet sich in den nächsten Jahren sehr viel in der Infrastruktur und es werden Weichen für lange Zeit gestellt. Die Situation ist also bei den materiellen Commons ganz ähnlich wie bei den immateriellen.

Was machen wir mit dieser Situation? Müssen wir jetzt Parteiarbeit – sei es bei den Piraten oder den Grünen oder den Linken – machen weil nur so zeitnah Einfluss genommen werden kann auf wichtige staatliche Prozesse? Ich hoffe wir finden einen anderen Weg. Ich hab eine Parteiallergie und Hyposensibilisierung dauert bekanntlich mindestens drei Jahre. Vorschläge?