Diskussion von »Über den Commonismus«

Franz hat den Artikel »Vom Kapitalismus über den Commonismus zum Kommunismus?« von Daniel Scharon aufgetan, dessen Original ziemlich schwer lesbar ist und das ich deshalb reformatiert auf keimform.de übernommen habe. Der Artikel enthält eine Auseinandersetzung mit Oekonux, Freier Software, Peer-Ökonomie, Commonismus und Kommunismus.

Zu diesem Artikel einige Anmerkungen, weil’s so viel ist, in einem extra Artikel.

Ich zitiere einzelne Passagen und kommentiere sie dann.

Die GPL … führt erstmal auch das Prinzip des Copyleft ein. Dieses basiert zwar auf dem Copyright bzw. Urheberrecht, verlangt aber, dass sämtliche aus GPL-lizenziertem Programmcode abgeleiteten bzw. modifizierten Werke auch wieder unter eine freie Lizenz gestellt werden müssen.

So weit ich weiß basieren alle Lizenzen, nicht nur freie und nicht nur die GPL, auf dem Copyright bzw. Urheberrecht. Abgeleitete Werke müssen nicht nur »wieder unter eine freie Lizenz« gestellt werden, sondern explizit wieder unter die GPL.

Der in dem Text oft formulierte Gegensatz von GPL vs. Open-Source-Lizenzen besteht nicht. Die GPL ist selbst eine Open-Source-Lizenz im Sinne der OSI-Definition.

Die Frage nach dem emanzipatorische Gehalt von Handlungen durch Freie Software wird also aus der Sphäre des Rechts ausgelagert.

Das ist eine gute Beobachtung, es ist ein wichtiger Punkt, der oft nicht verstanden wird. Es ist die Antwort auf die Frage: Warum schreibt Freie Software nicht normativ vor, wo und wofür sie einzusetzen ist?

Der Code wird häufig und in einem recht frühen Entwicklungsstand veröffentlicht. Dies bedeutet, dass in solchen sogenannten „beta releases“ noch viele Fehler, „Bugs“ genannt, enthalten sein können.

Ein Beta-Release ist ein ziemlich später Entwicklungsstand (nämlich schon ein Release). Der Code ist einsehbar, sobald er in eine Versionsverwaltung eingecheckt wurde.

Freie Software ist in der Epoche des Kapitalismus jedoch kein Einzelfall für ein Beispiel von nicht-warenförmigen Produkten. Im Rahmen von Hausarbeit, Familie, Ehrenamt usw. kooperierenden Menschen existiert zwar ein Wechsel von Stoffen und Informationen zwischen den Individuen, jedoch existiert kein Tausch, und damit keine Ware.

Richtig.

Die zahlreichen Open Source-Lizenzen, die nicht den strengen Richtlinien der GPL genügen, und somit dem „neoliberalen Modell Freier Software von Eric S. Raymond“ entsprechen, nimmt allerdings auch Meretz von dem Gütesiegel „Wertfreiheit“ aus (vgl. Meretz 2000).

Äh, nö, tue ich nicht. Auch nicht in der angegebenen Quelle.

Ein Tauschwert besteht somit für Freie Software nicht.

Eben.

Auch das Gegenteil ist für Marx möglich, ein Preis ohne Tauschwert. (…) Somit ist es auch möglich, dass Freie Software zu einem bestimmten Preis verkauft wird.

Ich kenne keine einzige Freie Software, bei der das der Fall ist.

Wert erhält Freie Software nur dann, wenn ein Weg gefunden wird, sie der Allmende zu entreißen und wieder einem Verwertungsregime einzugliedern, z.B. durch eine Lizenänderung des Maintainers, durch Doppellizensierung, welche inzwischen oft schon die Regel darstellt, usw.

Hat sie nun Wert oder nicht? Oder nur Wert, aber keinen Tauschwert? Und der Wert entsteht durch Lizenzänderung??

Entsprechend der Thesen von Meretz/Merten heißt das, dass Freie Software nur dann keinen Wert hat, wenn sie eine Freie Lizenz (im Sinne des Copyleft) besitzt und in Meretz’ Sinne “doppelt frei” ist.

Nope. Freie Software ist keine Ware und wertfrei, jede. Das habe ich doch immer deutlich so gesagt und geschrieben?

Demzufolge kann Freie Software, die unter den Bedingungen von Lohnarbeit erstellt wird, Wert besitzen.

Nope. Nicht jede Lohnarbeit schafft Waren, vgl. z.B. die (meisten) Staatstätigkeiten.

Die Höhe des Werts bemisst sich nach der gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit für das Erstellen der Software.

Wie hoch soll denn die »gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit« sein, wenn Freie Software niemals in einen gesellschaftlichen Vergleich eingeht?

Kann eine durch abstrakte Arbeit zustandegekommene Software nicht mehr verkauft werden, weil der Preis zu hoch oder das Angebot aufgrund von Überfluss nicht mehr knapp ist, realisiert sich der Wert nicht.

Also realisiert sich der angebliche Wert der Freien Software nur deshalb nicht, weil sie nicht verkauft wird? Hm, vielleicht sollte ich sie verkaufen, wenn noch niemand auf die Idee kam…

Freie Software im privatkommerziellen Unternehmen ist ein Verwertungs-Modus der besonderen Art.

Hm, anscheinend so besonders, dass man darüber nur rätseln kann.

Ein möglicher Wert von Freier Software gilt jedoch nicht für Dienstleistungen, welche nur auf Freie Software aufbauen, da für diese Freie Software lediglich ein Produktionsmittel ist, welches als Allmende, so wie beispielsweise das Wasser eines Flusses für eine Mühle, frei zugänglich und benutzbar ist.

Huch, jetzt hat Freie Software doch keinen Wert? Hätte sie einen, dann würde der sich doch als »Produktionsmittel« auf das hergestellte Gut übertragen. Was ist hier eigentlich ein Produktionsmittel? Software und Wasser auf die Mühle?

Innerhalb dieser Arbeit kann nicht der Kommunismus selbst entworfen werden…

…sagt er zu Beginn und tut’s dann doch. Leider wie so viele unter Rückgriff auf die Gothaer-Programm-Kritik von Marx. Diese Kritik war eine Verzweifelungstat von Marx aufgrund des Rufes der Arbeiterbewegung nach »Bildern« und »konkreten Vorschlägen«. Es war ausgeformulierte Proudonismus, wie Uli Weiss meint, den Marx selbst stets bekämpft hat. Der Realsozialismus konnte sich mit vollem Recht darauf berufen. Kommunistische Ansätze heute können dies nicht mehr. Einen Knackpunkt hebt der Autor allerdings richtig heraus:

Dass für Marx in der ersten Phase des Kommunismus noch das Prinzip des äquivalenten Austauschs von Konsumgütern nach geleisteter Arbeit besteht, wird von mehreren Seiten kritisiert …, da gerade dieses Prinzip … laut Marx selbst eigentlich untrennbar mit dem kapitalistischen Lohnsystem verbunden sei.

Nicht nur mit dem Lohnsystem, sondern mit allen Kategorien des Kapitalismus.

Eine Bezahlung nach dem Arbeitsertrag lässt daher noch die Tür offen für den Fortbestand der Arbeitsteilung und von Ausbeutung.

Hier kommt erstmals die merkwürdige Idee ins Spiel, die Arbeitsteilung nicht fortbestehen lassen zu wollen. Dann wäre es auch Essig mit Freier Software 😉

Im Folgenden werden dann Peer-Ökonomie, Commonismus und Oekonux in einen Topf geschmissen. Die Kritik richtet sich an die Peer-Ökonomie, im Kern an die »Kopplung von Arbeitsleistung und Güterbezug«, was ich teile. Als Maßstab wird jedoch eine wie auch immer »kommunistische« Gesellschaft angelegt, was IMHO das PÖ-Modell überfordert. Der absolute Maßstab hindert den Autoren auch, sinnvoll mit dem Keimform-Konzept umzugehen.

Ebenso problematisch ist seine Gegenüberstellung von Besitz und Eigentum. Seiner [Christian Siekes‘] Meinung nach basiere die Peer-Produktion auf Gemeingütern und Besitz, nicht auf Eigentum. In Privatbesitz befindliche Produktionsmittel „fungieren als Besitz (etwas, das man benutzt), nicht als Eigentum (etwas, das man verkaufen oder verwerten kann)“. Dies ist bei fungierenden Kapitalisten aber bereits in vielen Fällen auch nicht anders.

Hier hat der Autor den Unterschied wohl nicht verstanden. Der Kapitalist ist Eigentümer der Produktionsmittel und verwertet sie. Sicher benutzt er sie insofern auch, aber das ist hier nicht das bestimmende Moment. Hier fallen Eigentum und Besitz zusammen, weshalb das auch oft gleichgesetzt wird. Doch selbst das BGB kennt den Unterschied von Besitz und Eigentum. Der Absatz geht so weiter:

Freier Unternehmerwillen wird dadurch ausgedrückt, weil sie mit fremdem Eigentum umgehen.

Sie — die Unternehmer? Welches fremde Eigentum ist hier gemeint? Was hat das mit dem freien Willen zu tun?

So betrachtet steht das Konzept der Entwicklung Freier Software, was die Arbeitsorganisation und die Lizenzbedingungen angeht, nicht im Widerspruch zum Kapitalismus. Weder schließen die Lizenzen Lohnarbeitarbeitsverhältnisse oder Privateigentum aus, noch den Einsatz privatwirtschaftlicher Geschäftsmodelle zur Verwertung von Dienstleistungen rund um die Produkte Freier Software. Dies wären jedoch notwendige, wenngleich noch nicht hinreichende Voraussetzungen für kommunistische Produktionsweise…

Niemand (?) behauptet, dass Freie Software eine »kommunistische Produktionsweise« ist. Die analytische Potenz der Keimform-These  besteht darin, die Gleichzeitigkeit von Altem und Neuem, von kapitalistischer Funktionalität und Transzendenz, denken zu können — anstatt immer wieder in ein entweder-oder zu verfallen. Kommunismus als »wirkliche Bewegung« (Marx) anstatt als Zustand. Am Rand: Hier sind Dienstleistungen doch wieder verwertbar (im Gegensatz zur Aussage vorher).

Wie der Tauschwert zum Gebrauchswert, so steht die Verwertung der Freien Software zur Freien Software selbst. In der kapitalistischen Produktionsweise ist die Produktion von Freier Software nur ein Mittel für den Verwertungsprozess, Zweck und Inhalt bleibt weiterhin die Produktion von Mehrwert, nicht das interesselose Wohlgefallen an der Verbreitung nützlicher Software.

Nur Mittel für den Verwertungsprozess, aber selbst nicht verwertet? Das ist die analytisch interessante Frage. Dass alles im Kapitalismus zu Zwecken der Verwertung genutzt wird, ist klar. Dem Kapitalismus vorzuwerfen, er habe »nicht das interesselose Wohlgefallen an der Verbreitung nützlicher Software«, ist merkwürdig.

Die Existenz von nichtwarenförmigen Beziehungen kündigt dementsprechend nicht das Ende des Kapitalismus an sondern war schon immer Bestandteil des Kapitalismus. Er könnte wahrscheinlich nicht existieren ohne die großen Bereiche, in denen Werte nicht verwertet werden.

Mal abgesehen von der lustigen Formulierung der »Werte«, die »nicht verwertet werden«, ist die Aussage zutreffend. Doch es betrifft nicht den Kern der Keimform-These. Diese behauptet, dass die Freie Software bzw. allgemeiner: die Peer-Produktion, der Kern einer neuen Produktionsweise ist, die eine neue gesellschaftliche Form, eine andere Form der Vergesellschaftung, konstituieren kann. Sie ist also nicht nur »nicht warenförmig«.

Die These der nicht Warenförmigkeit Freier Software und die These der Keimform einer nichtkapitalistischen Produktionsweise, lässt sich bei näherem Hinschauen nur mit diversen Kunstgriffen aufrecht erhalten. Die mannigfaltigen, von den Vertretern dieser These erkannten Erscheinungsformen der Verwertbarkeit von Freier Software im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise werden von ihnen oft als Ausnahmeerscheinungen abgetan.

Was wie Kunstgriffe erscheinen, sind aus meiner Sicht analytische Differenzierungen, bei denen nicht das Sollen (»Freie Software soll eine Keimform sein«) die Leitidee ist. Hier ist nun wieder von der »Verwertbarkeit von Freier Software« die Rede, woran die Notwendigkeit der differenzierten Sicht verdeutlicht werden kann: Freie Software ist nicht verwertbar, aber sie geht durchaus in Prozesse der Verwertung ein: als wertfreies und kostenloses Material und Mittel. Das sind auch keine Ausnahmeerscheinungen, sondern es ist die kapitalistische Regel.

So werden die meisten (GPL-artigen) Open Source Varianten von vorneherein aus der These ausgeklammert und selbst bei der Freien Software, bei der alle Voraussetzungen wie freie Verfügbarkeit, freie Quellen, freie Änderbarkeit und freie Verteilbarkeit erfüllt sind, müssen sie noch unterscheiden zwischen „einfach freier Software“ (Software, die unter Lohnarbeitsverhältnissen entwickelt wird) und „doppelt freier Software“ (die in der Freizeit und unter Bedingungen freier Selbstentfaltung zustande kommt) um die These aufrecht zu erhalten.

Das stimmt schlicht nicht. Die analytische Bestimmung der Wertfreiheit Freier Software hängt nicht von der Art der freien Lizenz ab. Auch die Unterscheidung von einfach und doppelt freier Software hat nicht die Funktion, die Wertfreiheit zu begründen (oder ihre Werthaltigkeit), sondern darauf hinzuweisen, dass das Selbstentfaltungspotenzial bei doppelt Freier Software weit größer ist als bei einfach Freier Software.

Nicht abgestritten aber vernachlässigt wird die Unsitte der Doppellizensierung, also der bemerkenswerten Ausbeutung der unentgeltlichen Arbeit der Open Source Community durch die Privatwirtschaft und deren Verwertungsinteressen.

Ausbeutung ist eine ökonomische Kategorie. Die Community wird aber in diesem Sinne ebenso wenig ausgebeutet wie das Wasser des Flusses durch eine Mühle. Hier könnte man stattdessen im moralischen Sinne von Ausbeutung sprechen — doch dies würde dem Anspruch des Autors widersprechen.

Die Integration ins Alte, und damit dessen Auffrischung ist voll im Gange. Die Grundprinzipien von Freier Software bzw. der Art ihrer Produktion bleiben trotzdem eine Grundbedingung für eine moderne, nicht-kapitalistische Produktionsweise.

Das einerseits-andererseits macht den Artikel unklar in der Aussage: Wird Freie Software nun komplett in die kapitalistische Logik integriert oder ist sie eine Grundlage für eine nicht-kapitalistische Produktionsweise? Oder gibt es einen dialektischen Zusammenhang zwischen beidem? Wenn ja, wie?

Nur im Sinne von Meretz/Merten „doppelt freie“ Software, welche somit auch nicht dual-lizenziert ist, hätte das Potential zur Entfaltung eines neuen Produktionsmodells.

Nochmal: Nein, diese Beschränkung in der Aussage gibt es (zumindest bei mir, aber ich denke auch bei Stefan Merten) nicht.

Weder Marx noch bestimmte Verfechter der Peer-Ökonomie wie Siefkes werfen auf befriedigende Weise „die Frage der politischen Macht“ … auf.

Doch, die Frage wird nur ganz anders aufgeworfen, als das viele erwarten: Nämlich nicht als politische Macht, sondern als Handlungsmacht der Konstitution einer neuen Produktionsweise. Dass dies auch politische Implikationen hat, ist sicher so, aber die traditionelle (Macht-) Politik ist kein Hebel zur Durchsetzung neuer Verhältnisse.

Fazit

Irgendwie will der Autor Keimform & Co kritisieren, aber dann doch nicht richtig verwerfen. Die Argumente schwanken hin und her und widersprechen sich teilweise. Die Untersuchung ist trotz des Marx-Bezuges mehr eine Erzählung denn eine Analyse. Einige kritische Punkte werden genannt, aber nicht ausgeführt (etwa die Frage der Macht). Nicht wirklich befriedigend.

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