Moores Law und die Vermessung der Maßlosigkeit

Der Kapitalismus ist eine maßlose Veranstaltung. Der sich selbst verwertende Wert kennt keine Grenze. Das ist ja eines seiner großen Probleme. Denn dem entgegen stehen ja die menschlichen Bedürfnisse, die immer endlich sind. Der Kapitalismus misst dabei alles in seiner Maßlosigkeit. Nur was Wert hat, hat eine Existenzberechtigung. Menschliche Bedürfnisse verhalten sich genau umgekehrt: Sie haben immer Maß, sind aber nie zu messen. Zumindestens nicht vollständig. Kein menschliches Bedürfnis geht in seiner Meßbarkeit auf. Es mag sein, dass ich soundsoviel Wasser, soundsoviel Kalorien und soundsoviel Vitamine am Tag brauche zum Leben, aber das beschreibt niemals vollständig und qualitativ mein Bedürfnis nach Essen. Der Kapitalismus ist also die Vermessung der Maßlosigkeit, aber die menschlichen Bedürfnisse haben ein unmeßbares Maß.

Die Geschichte des Kapitalismus lässt sich wohl mit mindestens ebenso großem Recht als die Geschichte dieses prozessierenden Widerspruchs begreifen wie als eine des Widerspruchs von Kapital und Arbeit, wie es der klassische Marxismus getan hat. Zum Verständnis seines Expansionsdrangs ist wohl tatsächlich dieser Widerspruch sehr viel wichtiger. Die maßvollen Bedürfnisse waren eine immer wieder zu verschiebende Schranke. Neue Länder, neue Kräfte, neue Menschen mussten her um der Maßlosigkeit neue Messräume zu erschaffen. Die Vermessung der Welt ist ein kapitalistisches Projekt. Wie genau das funktioniert findet sich sehr schön erklärt in Eske Bockelmanns Buch „Im Takt des Geldes„.

Wie sieht es nun heute aus? Ein zentraler Motor des Informationskapitalismus ist Moores Law. Moores Law sagt im Kern: Die Kosten einer Berechnung halbieren sich alle eineinhalb Jahre. Moores Law ist also die Entwertung der Berechnung. Jede Vermessung braucht aber Berechnungen. Moores Law ist also die Entwertung der Vermessung. Mit der Digitalisierung der Welt kann also nun der Kapitalismus die Welt zum Preis Null vermessen. Das bedeutet aber vor allem zweierlei: Zum einen schreitet die Vermessung der Welt in nie gekannter Geschwindigkeit voran. Das nennt man dann   „Gobalisierung“. Zum anderen bricht aber auch der alte Expansionismus zusammen, denn man kann zwar immer mehr und schneller Vermessen, es bringt aber nichts mehr ein. Wozu also noch neue Kräfte, neue Menschen und neue Länder erschließen? Die sind Überflüssig.

Die Postoperaisten sagen, der Wert sei nicht mehr meßbar, weil die Arbeitszeit nicht mehr als Maß taugt (und postulieren damit etwas vorschnell das Ende des Werts). Die Universalgüterthese sagt: Information hat keinen Wert. Moores Law ist der Missing Link dazwischen: Die Entwertung der Vermessung führt tendenziell zu einer Entwertung von allem, denn das alte Akkumulationsregime der Vermessung ist seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zumindestens eine entscheidende, wenn nicht sogar die entscheidende Triebkraft des Kapitalismus. Dieses Regime endete Vielleicht schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Moores Law. Oder sehr bald.

Bockelmann beschreibt sehr gut, wie die Zeitgenossen diesen Umbruch selbst garnicht wahrnahmen. Musik und Dichtung gab es nur noch mit Taktrhythmus und den Zeitgenossen kam es so vor, als sei das schon immer so gewesen und das natürlichste auf der Welt. Ähnlich geht es uns womöglich heute. Es hat ein Umbruch stattgefunden und wir haben es garnicht gemerkt. Das fundamental Neue ist für uns schon selbstverständlich und wir gehen davon aus, man habe schon immer so gedacht, gelebt, gefühlt. So wie damals die alltägliche Geldhandlung ein neues Regime implementierte tief im Unbewußten der Europäer, so womöglich auch heute? Was könnte das sein? Und was bedeutet das? Vielleicht liegt aber der Umbruch auch erst noch vor uns? Wie sieht er aus? Wird alles wieder in alte Bahnen gelenkt? Wie kann das gehen?

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