Elevate-Schlossbergfestival — Resümee

Elevate-Festival in GrazGraz mausert sich zum Fokus des Commons-Diskurses. Und das sozusagen »nebenbei«, denn das Festival ist zwar eines für »zeitgenössische Musik, Kunst und politischen Diskurs«, aber Publikumsmagnet ist die Musik. Nach allem, was ich so mitbekam, ist die Musik auch eher nicht als »zeitgenössisch«, sondern tendenziell als pre-zeitgenössisch zu bezeichnen: »In Graz läuft heuer das, was in zwei Jahren angesagt ist«, sagte mir eine Teilnehmerin. Ok, das kann ich nicht wirklich beurteilen, zurück zum Diskursteil.

»Commons« ist eine Art Sammelbegriff und mit »Gemeingütern« nur unzureichend übersetzt (dazu kommt noch ein ausführlicherer Artikel). Viele Bewegungen haben einen sehr unterschiedlichen Bezug darauf:

  • Anti-Biopiraterie-Kampagnen wollen das Commons der Biodiversität erhalten und die Patentierung von Leben verhindern;
  • Freie Software und Kulturbewegungen schaffen neue Commons und werden teilweise nun umgekehrt als »Raubkopierer« (etwa bei der »illegalen« Nutzung von Musikschnipseln) denunziert;
  • Die Atmosphäre als eines der größten Commons wird durch Externalisierung der Abprodukte kapitalistischer Produktions- und Lebensweise in einer Weise verändert, die zur globalen Erwärmung mit der absehbaren Folge der Zerstörung menschlicher Lebensgrundlagen führt;
  • Landlosenbewegungen kämpfen um für Aneignung und Nutzung brachliegender Landflächen, um Land als Commons (als Besitz, statt Eigentum) zur Produktion von Lebensmitteln zu nutzen;
  • Länder kämpfen für die lizenzfreie Produktion von Generika, wollen also Produkt- und Produktionswissen als Commons (und nicht als Eigentum) verstanden wissen und nutzen;
  • Unüberschaubar viele »Open«-Bewegungen wollen proprietäres in freies Wissen verwandeln (vgl. diese Liste)
  • usw. usf.

Auch wenn nicht immer der Commons-Begriff verwendet wird, geht es genau darum: Wie kann die Produktion des Lebens wieder angeeigent werden. Dieser Fokus wurde auf dem Elevate-Festival klar und deutlich herausgearbeitet. Der Commons-Begriff hat das Potenzial, den Blick auf die Herstellung — und nicht nur Verteilung — der Dinge zu lenken, die wir für ein gutes Leben brauchen. Er stellt die Eigentumsfrage als Besitzfrage neu: Wie kann etwas unabhängig vom formalen Eigentum dauerhaft Besitz derjeingen bleiben, die es nutzen?

Zurück zum letzten Tag des Elevate-Festivals.

Am Vormittag hat Massimo De Angelis die zentralen Thesen seines 2007 erschienenen Buches „The Beginning of History: Value Struggles and Global Capital“ vorgestellt. Massimo beschrieb zunächst in eher klassischer Frontstellung das Kapital als soziale Kraft, die grenzenlos nach Verwertung strebt, und sozialen Bewegungen, die dem entgegenstehen und ihr eigenes Netz des Lebens herstellen. Auf Nachfrage differenzierte er diese Sicht und beschrieb den Gegensatz als »durch uns hindurch gehend«, also nicht als personal zuzuordnende Konfrontation unterschiedlicher Personen oder Klassen. Sein Bezugspunkt sind die globalen Bewegungen, die dem neoliberalismus Grenzen gesetzt hätten, und diese Grenzsetzung sei die Voraussetzung, die Commons wieder anzueigenen. Allerdings gäbe es nicht nur die »guten« Commons, sondern auch die des Kapitals, die er »Fucked-up Commons« nannte (Beispiel sei das globale Finanzsystem). Commons seien also nicht als solche positiv, sondern es komme immer auch auf ihren Inhalt an.

Bei der ersten Podiumsdiskussion am Nachmittag lautete der Titel »Kooperation statt Wettbewerb, Gemeinwohl statt Profit«. Da ich dort auch teilnahm, ist meine Sicht eher verzerrt — aber ist ja eh, alles subjektiv. Neben Massimo (s.o.) und mir nahm Christian Felber teil, ein eloquenter Ökonom und Mitbegründer von Attac-Österreich. Entsprechend waren die Positionen von Christian sehr attacistisch, d.h. sehr auf Machbarkeit morgen früh und Beratung der Politik ausgerichtet. Schwieriger noch aber war, dass Christian eine sehr traditionellen Commons-Vorstellung vortrug: Eigentlich gibt’s nur privates und öffentliches Eigentum, und es käme darauf an, wie man das Verhältnis austariert und durch geschickte Rahmensetzungen im Gemeinwohlsinne steuert. Sein Vorschlag war der der Einführung »moderner Allmenden«, worunter er nutzergesteuterte öffentliche Güter verstand. Ferner seien nichtgewinnorientierte Privatunternehmen gesetzlich zu bevorzugen.

Es ist vermutlich leicht vorstellbar, dass sich schnell eine Diskussion zwischen Christian auf der einen und Massimo und mir auf der anderen Seite ergab, wobei diese immer sehr freundlich und sachlich blieb. Aus dem Publikum kritisierte Silke den verkürzten Commons-Begriff von Christian, was dieser aber nicht recht verstand. Mir schwante Übles als aus dem Publikum dann auch noch Fragen nach dem »Zins« als Ursache der Probleme, aber glücklicherweise ging niemand drauf ein und Gesell war wieder vom Tisch.

Ich trug die bereits geposteten »Sieben Thesen zum Commonismus« vor, und die nachfolgende Frage nach den Prinzipien Freier Software gab mir die gute Gelegenheit, die Thesen am konkreten Beispiel der Freien Software noch einmal zu illustrieren. Massimo schien noch etwas müde vom vorhergehenden Workshop zu sein und trug seine Thesen in einer wieder arg verkürzten und damit sehr »klassistischen« Variante (hier das Kapital, dort die sich wehrenden Unterdrückten) vor.

Die Abschlussdiskussion am Abend nahm sich die Frage vor, wie denn ein »Reclaiming the Commons« funktionieren könnte. Das Podium war groß und die Sprache war englisch, was für mich nicht leicht fiel. Ich kann auch gar nicht mehr wiedergeben, was im Einzelnen gesagt wurde. Die erste Hälfte war schleppend, so dass Silke als Moderatorin schon zu den Schluss-Statements aufforderte, dann aber bemerkte, dass wir noch eine Stunde Zeit hätten. Nun wurde es munterer, und eine Diskussion zwischen den Sofas (ja, gute Idee, für’s Podium Sofas zu verwenden) und dem Publikum entstand.

Thema waren u.a. die Geheimverhandlungen zum ACTA (Abkommen gegen den Handel mit gefälschten Gütern) und anderer Abkommen zu weiteren Einhegung des Menschheitswissens (TRIPS).

In meinen Einleitungsbeitrag — Vorgabe maximal fünf Minuten — konzentrierte ich mich auf die drei Merkmale der Commons- bzw. Peer-Produktion. Christians Buch habe ich auch erwähnt, und ich hatte dann leider nicht genug Exemplare mit wie ich hätte verkaufen können (aber es gibt ja den freien Download). Zum Abschluss — soll ja immer alles ganz konkret sein — schlug ich vor: erstens die vorhandenen Commons zu nutzen und zum Beispiel Freie Software zu verwenden, zweitens die strategische Debatte über und um die Commons weiterzuführen, und drittens uns beim Elevate-Festival in 2009 wiederzutreffen — wobei allerdings die Außenkommunikation des Festivals noch deutlich besser werden kann (v.a. die Online-Mediennutzung).

Grob gesagt waren alle Beiträge vom Podium zusammenfassende Wiederholungen dessen, was in den Vortagen und -nächten diskutiert wurde. Und diskutiert wurde eigentlich permanent, vom Frühstück bis zum nächtlichen Musikevent. Als Fazit oder Fokus kann ich den gemeinsamen Wunsch nach der Fortführung und Zusammenführung der Debatte nennen. Einige nannten das »Meta-Commons« oder »Commons of the Commons«.

Erstaunlich war, wie leicht ein Konsens zu vielen Punkten gefunden wurden: Wir sind reich, aber haben nicht unbedingt viel Geld; Knappheit ist eine soziale Form des Umgangs mit Begrenzungen; es geht um die Produktion und nicht um die Verteilung; Marktlogik (=Enclosure) und Commons-Logik (=Inklusion) stehen sind gegenüber; Commons und Commoning sind nicht trennbar etc. Auch deswegen bin auch ziemlich begeistert vom Elevate-Festival.

Es gibt natürlich auch ein paar Dinge, die mich gestört haben, darunter die andauernde Rede von den »Werten«. Damit sind natürlich die guten Werte gemeint, die zu verbreiten seien, während die monetären Werte die bösen sind. Weiters die (zu Beginn noch häufigere) Rede von den neuen »Business-Modellen«, die die Commons böten. — Na gut, man kann nicht alles haben, die Zugänge sind eben sehr unterschiedlich.

Jetzt noch eine Link-Parade zu Elevate:

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