Die sechs Stufen der Krise

Alle reden über die fiese Krise. Dabei geht oft einiges durcheinander. In der marxistischen Diskussion gibt es eine lange Geschichte von Krisentheorien, die in einem Text von Thomas Sablowski sehr gut zusammengefasst wird. Er schließt mit den Worten:

„Das zeigt, dass die Kapitalakkumulation kein rein ökonomischer Prozess ist, sondern auch politische und militärische Dimensionen hat. Die politischen und militärischen Prozesse bleiben jedoch umgekehrt unverständlich, wenn sie nicht auch mit den Mitteln der Akkumulations- und Krisentheorie analysiert werden.“

Das klingt nach einem anspruchsvollen Programm. Aber man kann ja trotzdem mal anfangen. Um die „politische und militärische Dimension“ zu verstehen ist es absolut erforderlich eine historische Perspektive einzunehmen und zu schauen welche Art von Krisen wir bereits beobachten konnten und was ihre auslösenden Tendenzen sowie ihre Auswirkungen waren. Das will ich im folgenden tun.

Meiner Auffassung nach gibt es sechs Stufen der Krisendynamik. Alle diese Krisen verweisen gleichzeitig auf Zyklen. Kein Aufschwung ohne Krise. Der Character von Krise und Aufschwung ist allerdings komplett unterschiedlich. Außerdem kommen diese Krisen selten in Reinform vor sondern sind in vielfältiger Weise miteinander verwoben. Am Schluß werde ich dann versuchen diese Krisenformen in Bezug zu setzen zu den aktuellen Ereignissen.

  1. Die Branchenkrise im klasssische Schweinezyklus. Die Nachfrage in einem Segment steigt, daraufhin wollen alle Gewinn machen und produzieren das nachgefragte Gut. Bis das dann auf dem Markt ist findet sich da ein Überangebot und … Rumms, die Preise Purzeln, Firmen gehen Pleite, Leute werden entlassen, das führt wieder zu einem Nachfrageüberhang und alles geht von vorne los. Das ist eine simple Angelegenheit und nicht zu vermeiden so lange die Menschen als isolierte Privatproduzenten auf Verdacht für den Markt produzieren und keine vollständige Information von den Plänen der anderen haben. Die Auswirkungen dieser Sorte der Krise – als solche – sind meistens begrenzt. gesamtgesellschaftlich wird weitergemacht wie vorher.
  2. Die konjunkturelle branchenübergreifende Krise. Auch die kennen wir alle aus eigenem Erleben. Alle paar Jahre gehen die Arbeitslosenzahlen rauf, das Wachstum runter. Der Mechanismus ist ähnlich wie beim einfachen Schweinezyklus aber durch die Verzahnung der Branchen erfasst er die gesammte Wirtschaft. Hier gibt es dann schon meist gesellschaftliche Auswirkungen. Neue Gesetze werden beschlossen, Regierungen abgewählt, Kriege angefangen um von Problemen abzulenken. Dennoch sind die Auswirkungen begrenzt: Oft auf einzelne Länder oder Gruppen von Ländern. Auch die grundsätzliche Produktionsweise bleibt unangetastet.
  3. Die lange-Wellen-Krise. Es deutet sehr viel darauf hin, dass der Kapitalismus ca. alle 50 Jahre in große Umbrüche verwickelt wird. Es handelt sich um eine weltweite Krise einer ganzen Produktionsweise. Zu letzt erlebten die Älteren von uns das in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts als der Fordismus an sein Ende kam. Diese Krisen gehen mit großen Verschiebungen in der Produktionsweise einher. Auch die Regulation des Weltsystems ändert sich. Die Finanzmärkte werden neu organisiert. Enorme politische Umbrüche und große Kriege zwischen Weltmächten finden statt. Neue infrastrukturelle Basisinnovationen und -Investitionen strukturieren Wirtschaft und Gesellschaft um (Eisenbahn, Automobil, Internet) und legen so die Basis für einen neuen Zyklus.
  4. Die hegemoniale Krise. Alle 100-200 Jahre hat sich der Kapitalismus auf noch gravierendere Weise verändert. Zentrum und Peripherie gruppieren sich neu. Es gibt eine neue Hegemonialmacht, die politische, militärische, wirtschaftliche, finanzielle und kulturelle Macht vereint. Seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts ist das die USA, vorher war es England. Die Phasen eindeutiger Hegemonie sind im historischen Vergleich meistens eher kurz, dazwischen liegen lange Phasen in denen verschiedene Mächte um die Vorherrschaft kämpfen. Oft kann ein Hegemon die Vorherrschaft in einzelnen Bereichen noch halten, wärend sie in anderen schon verschwinden. Gerade Finanzmacht tendiert dazu die anderen Bereiche zu überleben. Das war im Fall von England so und auch schon bei den Niederländern im 17. Jahrhundert. Die Veränderungen gehen so weit wie sie nur irgendwie gehen können ohne dass der Kapitalismus als Ganzes in Frage gestellt wird. Neue Leitbilder für Gesellschaften entstehen, ganze gesellschaftliche Gruppen definieren sich neu, die Lebensweise wird komplett umgekrempelt. Militärische Strategie verändert sich grundlegend. Neue Waffensysteme entstehen. Weltsichten verändern sich.
  5. Die Systemkrise. Die letzte dieser Art gab es zwischen ca. 1450 und 1650 als der Kapitalismus entstand. Für eine solche Krise müssen sehr viele Ursachen zusammenkommen. Neben politischen, militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen auch klimatische und epidemologische. Die Veränderungen gehen sehr tief bis ins gesellschaftliche Unbewußte. Was ein Mensch ist, wird grundsätzlich neu definiert.
  6. Die Menschheitskrise. Ob es eine solche je gab ist wohl nicht wirklich nachzuweisen. In der Matriarchatsforschung wird davon ausgegangen, dass die Entstehung des Patriarchats vor einigen tausend Jahren Folge einer solchen Krise war. Mal abgesehen von der Krise, die die Menschheit überhaupt erst hervorgebracht hat.

Krisen auf einer Stufe verstärken Krisentendenzen auf der nächsten Stufe. Es gibt da aber keinen Automatismus oder eine feste Anzahl von Zyklen in Stufe N innerhalb eines Zyklus der Stufe N+1 oder ähnlich deterministisches. Der konkrete Verlauf ist immer kontingent. Deswegen ist er ja aber nicht beliebig. Ohne Krisen auf Stufe N wird es keine auf Stufe N+1 geben und umgekehrt ändert sich der Character von Krisen auf Stufe N durch den Status des Zyklus auf Stufe N+1.

Wie ist nun die aktuelle Krise einzuordnen? Die direkte Ursache war tatsächlich eine ganz normale Krise auf Stufe 1, die Branchenkrise des amerikanischen Immobilienmarkts. Der amerikanische Immobilienmarkt ist allerdings eine sehr bedeutende Branche, so dass schon als direkte Folge dieser Krise eine konjunturelle Krise in Amerika entstand (Stufe 2). Eine Krise in Amerika als Sitz der hegemonialen Macht ist ausserdem sofort weltweit wirksam. Zusätzlich wurde seit dem Ende des Fordismus der Finanzsektor enorm ausgedehnt. Da die Immobilienkrise über undurchsichtigen Derivatehandel auch direkt auf die Wallstreet Auswirkungen hatte, wurde zudem aus der Immobilienkrise eine Finazkrise. Durch den beginnenden weltweiten Abschwung wird diese gerade noch verstärkt. Es spricht also sehr viel für das Ende eins langen Zyklus (Stufe 3). Das interessante daran ist, dass diese lange Welle dann insgesamt extrem kurz war, es wäre die kürzeste in der Geschichte des Kapitalismus.

Wie sieht es nun auf Stufe 4 (Hegenomie) aus? In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die amerikanische Hegemonie auf ihrem Höhepunkt. Man sprach von der „einzigen Weltmacht“. Seit dem 11. September ist klar, dass es militärische Herausforderungen für diese Weltmacht gibt auf die sie bisher keine Antwort gefunden hat. Auch kulturell sind die Einflüße aus Asien inzwischen wohl fast so stark wie die aus Amerika. Wirtschaftlich wird in Amerika hauptsächlich konsumiert, finanziert durch die Weltwährung Dollar. Ein gigantisches Handelsbillanz- und Haushaltsdefizit ist in den letzten Jahren aufgelaufen. Selbst unser Finanzminister sprach schon von einem bröckeln amerikanischer Hegemonie (sicher nicht ohne eigene Hoffnungen). Kurz darauf merkte er allerdings dass die eigenen Banken genauso in der Scheiße saßen wie die amerikanischen. Ob die amerikanische Hegemonie also am Ende ist, ist offen. Zunächst einmal sind ja die weltweiten Auswirkungen der Finanzkrise Ausruck dieser Hegemonie. Eine Finanzkrise in Japan hatten wir ja schon vor ein paar Jahren ohne dass es sofort zu weltweiten Auswirkungen kam. Es gibt aktuell sogar Tendenzen, die die amerikanische Hegemonie zu stärken scheinen, weil die Anleger ihr Geld welteit abziehen und in den vermeintlich sichereren Dollar zurücktransferieren.

Noch offener sind die Auswirkungen auf Stufe 5. Die Argumentation der Krisianer steht auf sehr wackligen theoretischen Beinen. Das muß nicht heißen, dass sie falsch ist, nur das es zunächst mal nur eine unbewiesene These ist, dass diese Krise eine Auswirkung einer Krise der Kapitalakkumulation ist, die bereits mit dem Ende des Fordismus begann. Das Gegenteil – dass also der Kapitalismus so oder so weitermacht wie bisher – ist aber genauso unbewiesen. Auf rein ökonomischer Ebene lässt sich diese Frage nicht beantworten, weil eben viele Aspekte in eine solch umfassende Krise einfließen müssten, nicht nur ökonomische. Insbesondere die unterschiedlichen Behauptungen darüber was im Sinne des Kapitals „produktive Arbeit“ ist, sind zunächst mal nur Behauptungen. Dazu gehört auch die hier vor allem von Stefan vertetene Universalgüterthese, die ja auch behauptet, dass bestimmte Arbeit – obwohl bezahlt – nicht für das Kapital produktiv sei, weil sie keinen Wert erzeuge.

Was heißt das alles für Keimformen? Zunächst einmal sind für Keimformen die sechs Stufen der Krise sechs Stufen der Chancen. Gleichzeitig bedeutet jede Krisenverschärfung aber auch eine Verschärfung der Rahmenbedingungen für Keimformen. Auf welcher Stufe auch immer die aktuelle Krise dann schließlich halten wird, ist es aber so oder so sehr wichtig die menschlichen Beziehungen zu stärken um den Unbillen der Zeit gewappnet zu sein. Dazu versuche ich mit meiner Idee der saturday-house-peer-production-resillient-community einen Beitrag zu leisten.

(Billizenz, Bildquelle)

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