Alles wird offen (Teil 2)

Am späten Vormittag ging es bei openeverything Berlin (Ankündigung, Bericht Teil 1) mit den 7 Minute Showcases weiter, wo diverse offenen Projekte sich und ihr Konzept in je sieben Minuten vorstellten – das war zumindest die Idee, real brauchten manche auch acht oder neun Minuten 😉

Interessant fand ich hierbei vor allem die Projekte aus dem Bereich Freies Design:

  • Pamoyo (vorgestellt von Cecilia Palmer) ist ein Open-Source-Modelabel, dass Kleidung verkauft und die dazugehörigen Schnittmuster im Internet frei zur Verfügung stellt (unter der CC-BY-SA-Lizenz, allerdings im PDF-Format, was die weitere Bearbeitung etwas erschwert.)

  • Ronen Kadushin macht “Open Design” im Wortsinne: er ist ein Designer, der Möbel und Einrichtungsgegenstände entwirft und ihre Designs unter CC-BY-NC-SA veröffentlicht. Seine minimalistischen Designs basieren auf flachen, quasi zweidimensionalen Komponenten, die leicht ausgestanzt/geschnitten und kostengünstig verschickt werden können; das Zusammensetzung und evt. Zurechtbiegen in dreidimensionale Gegenstände wird dann dem Benutzer überlassen.

  • Der Fragment Store (präsentiert von Linda Löser) versteht sich als “Labor für individuell kombinierbare Produktfragmente”. Die Idee dabei ist, dass die Kund/innen aus flexibel kombinierbaren Komponenten auswählen und sich daraus dann selbst die gewünschten Produkte zusammenbauen können:

    Eine neue Form der Steckverbindung ermöglicht es dem Kunden Produkt-Fragmente frei zu kombinieren. Ein Lampenschirm kann so z.B. zu einem Lampenfuß werden und hält die Option offen, eine Stehleuchte, Tischleuchte oder Wandleuchte zu sein. Schuh-Fragmente können so kombiniert werden, dass sie in Form einer Sandale, eines hohes Abendschuhs oder eines bequemen Laufschuhs getragen werden können.

    Der Kunde wird durch das vielfältige Angebot an Fragmentteilen zum Ausprobieren animiert. Hierbei entstehen Produkte, die jeweils an die individuellen Gebrauchssituationen und Bedürfnisse des Kunden immer wieder angepasst neu werden können. (lindadesign.de)

    Die Baupläne aller Komponenten sollen unter einer freien Lizenz veröffentlicht werden. Leider sind auf der Website bislang weder Bestellmöglichkeiten noch veröffentlichte Designs zu finden – aber vielleicht kommt das ja noch…

  • Werner Heuser (der selbst nicht in das Projekt involviert ist), hat das bekannte Openmoko-Projekt und wichtigstes Produkt, den Neo FreeRunner, vorgestellt. Der FreeRunner ist das erste wirklich “freie” Handy – alle für die Produktion nötigen Baupläne (CAD und Schematics) sind frei verfügbar (sofern nicht rechtliche Bestimmungen die Veröffentlichung verbieten; Lizenz: CC-BY-SA). Heuser zufolge hat das Handy noch einige Schwächen (3 Minuten Bootzeit, wenig intuitive Bedienung, relativ groß und klobig), ist aber doch schon ein beachtlicher Schritt in Richtung freie Technik.

Einige andere Projekte könnte man unter dem Stichwort “Open Places” zusammenfassen – Orte, die in irgendeiner Weise auf dem Paradigma der Offenheit basieren:

  • Das breipott (Stefan Zimmer) ist ein Berliner Café (in der Skalitzer Straße 81 in Kreuzberg), das grundsätzlich nur GEMA-freie Musik spielt. Die Gäste können sich auch nach Belieben in dem breipott-Musikarchiv umhören und sich ihre eigenen frei lizenzierten Musiksammlungen zusammenstellen und brennen. Ziel ist es dabei auch, unbekannte junge Künstler/innen zu promoten, die nicht auf die klassischen Vertriebswege setzen wollen oder können. GEMA-Gebühren muss das Café allerdings immer noch zahlen – so leicht ist dieser Behörde nicht zu entkommen.

  • Franz Patzig stellte (mehr oder weniger) die BarCamp-Philosophie vor – ein Konzept für offene “Unkonferenzen”, deren Programm und Inhalte von den Teilnehmenden selbst gestaltet werden. Der BarCamp-Ansatz hat Ähnlichkeiten mit dem Open Space-Konzept, ist jedoch flexibler und für größere Veranstaltungen wohl besser geeignet. Die wichtigste Regel ist, dass alle Teilnehmer/innen selbst einen Vortrag halten oder organisieren sollen.

  • Yan Minagawa stellte die c-base vor, den offenen Hackerspace in Berlin-Kreuzberg, der auch freien und alternativen Projekten wie Freifunk, der Piratenpartei, dem Chaos Computer Club und der Wikipedia Platz für Stammtische und regelmäßige oder unregelmäßige Treffen bietet. Im Logbuch lassen sich die künftigen und vergangenen Termine nachlesen. Organisation und Finanzierung der c-base basieren auf freiwilligen Beitragen – es gibt einen eingetragenen Verein mit etwa 300 Mitgliedern, die die Aktivitäten organisieren und gemeinsam die Unkosten zur Finanzierung der Infrastruktur tragen.

    Ein verwandtes Projekt ist das Bootlab:

    Bootlab is a non-profit organisation for the advancement of independent projects. Founded in 2000 and located in the historic Telegrafenamt in Berlin-Mitte, bootlab provides studio, production and office space for groups and individuals (activists, artists, curators, engineers, filmmakers, programmers, publishers, writers etc.) working with old and/or new media technology.

    Als drittes Projekt stellte Minagawa dann noch die Telekommunisten vor, ein Unternehmen von Dmytri Kleiner & Freunden. Die Telekommunisten sollen Kleiners Konzept des sog. “Venture Communism” umsetzen. Ein passender Name wäre wohl “worked-owned market economy”, die Vorstellung, dass schon alles besser wird, wenn den Arbeiter/innen, statt den Kapitalist/innen, die Fabriken und Produktionsstätten gehört. Die Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise (Vermittlung über Markt und Wert) werden dabei nicht in Frage gestellt, was übersieht, dass die Unterscheidung zwischen Produktionsmittel-Eigentümern (Kapitalisten) und “doppeltfreien” Lohnarbeitern (die nichts zu verkaufen haben außer ihrer Arbeitskraft) nicht nur historische Voraussetzung, sondern zugleich auch zwangsläufiges Ergebnis der marktbasierten Produktionsweise ist (der Verkauf auf dem Markt schießt ja immer die Möglichkeit seines Scheiterns ein, was manche Verkäufer früher oder später in den Bankrott treiben und so in eigentumslose, “doppeltfreie” Lohnarbeiter verwandeln wird – auch bei einer hypothetischen Ausgangssituation, wo zunächst alle Eigentum an Produktionsmitteln haben). “Venture Communism” (bzw. “worked-owned market economy”) ist also eine Contradictio in adiecto, ein Widerspruch in sich.

Drittens gab es einige Projekte aus dem Bereich Freie Kultur:

  • Ein besonders “poetisches” Projekt stellte Nicola Caroli vor:

    Poem Space ist noch im Werden und wird derzeit mit Printemps des Poètes, Berlin09 erprobt. Poem Space soll ein Raum sein, in dem sich Leute, die sich auf unterschiedliche Weise für Sprache begeistern, austauschen und interdisziplinär experimentieren und gemeinsam Strategien entwickeln können, Poesie in der Gesellschaft präsent zu machen. Poem Space könnte z.B. ein physischer Ort, ein Netzwerk oder eine Vermittlungsagentur für Poesie sein. Es könnte mobil sein und Poesie zu Leuten an verschiedenen Orten bringen. Oder all dies zugleich.

    Im Frühjahr 2009 soll der Poem Space mit dem Printemps des Poètes erstmals eine physische Form annehmen:

    In March 2009 the first Printemps des Poètes is going take place in Berlin. All poetry lovers are called upon to participate. From 2nd to 15th March there will be poetic mini-activities and larger projects in many districts of Berlin.

  • Tim Baumann zeigte Ausschnitte aus dem Film Valkaama. Der Film ist ein kollaboratives Open-Source-Projekt, bei dem nicht nur das Ergebnis unter einer sehr liberalen Lizenz (CC-BY) online gestellt wird, sondern auch der Entstehungsprozess frei und offen sein soll. Während bislang hauptsächlich Kurzfilme unter freien Lizenzen veröffentlicht wurden oder die Filme nur mit Einschränkungen weiterverwendet werden durften (z.B. nur nichtkommerziell), handelt es sich bei Valkaama um einen komplett freien Spielfilm, der mit Schauspielstudent/innen in Krakau gedreht wurde.

  • Ein anderes Filmprojekt ist Steal This Footage, ein Ableger der Dokumentarfilmreihe Steal This Film. Während bislang nur die Filme (die die schwedische “Piraten”-Szene dokumentieren) selbst frei veröffentlicht wurden, ist nun die gesamte “Footage” verfügbar, also auch Aufnahmen, die im fertigen Film gar nicht oder nur in gekürzter Form verwendet wurden. Das eröffnet natürlich neue Remix-Möglichkeiten, wenn sich jemand mit Szenen beschäftigen will, die es nicht komplett in den Film geschafft haben. Das Projekt verwendet die CC-BY-SA-Lizenz.

  • Georg von Zimmermann stellte die Website Open Critics vor, wo die erste offene Datenbank für Nutzerbewertungen entsteht. Bislang gibt es ja auf kommerziellen Websites wie amazon.de, ciao.de, idealo.de zahllose Nutzerbewertungen, die von Leser/innen und Nutzer/innen freiwillig und unbezahlt geschrieben werden, dann aber in das Eigentum des Unternehmens übergehen. Das Engagement zahlreicher Nutzer/innen auf diesen Websites kann man wohl als einen Fall von Peer-Produktion auffassen, deren Ergebnisse als Commons allen zur Verfügung stehen könnten, wenn die Öffentlichkeit nicht durch die Nutzungsregeln der Seitenbetreiber, die die Nutzerbeiträge zu ihrem Privateigentum erklären, enteignet würde – ein neuer Fall von Enclosure of the commons. Open Critics geht es darum, Nutzern und Seitenbetreibern, die auf das Enteignungsspielchen keine Lust haben, eine Alternative zu bieten: die hier eingestellten Nutzerbewertungen können von allen für kommerzielle oder nichtkommerzielle Zwecke genutzt werden; zudem ist eine API geplant, die es Site-Betreibern ermöglicht, die bei Open Critics vorhandenen Nutzerbewertungen zu einem Produkt einzublenden und/oder die auf der eigenen Seite geschriebenen Nutzerbewertungen automatisch in die Open-Critics-Datenbank einzuspeisen. Die verwendete Lizenz ist die CC-BY-ND (Namensnennung-Keine Bearbeitung) – für Nutzerbewertungen wahrscheinlich eine sinnvolle Wahl, da andernfalls die Nutzerkommentare nach Belieben “bearbeitet” und damit verfälscht werden könnten.

Insgesamt fand ich die Kurzvorstellungen, die zusammen nur etwa 90 Minuten dauerten, sehr inspirierend. Vor allem dass sich im Open-Design-Bereich derzeit so viel tut, passt zu unseren Thesen, dass die Peer-Produktion über die Freie-Software und Freie-Kultur-Szene hinaus allmählich auch auf die materielle Produktion übergreift. Interessant fand ich, dass überhaupt keine Freien-Software-Projekte vertreten waren. Anscheinend ist Freie Software schon so selbstverständlich und etabliert, dass sie für ein eher exploratives Event wie openeverything keine große Rolle mehr spielt.

Demnächst gibt es hier noch einen dritten Teil zu den nachmittäglichen Sessions, wo es unter anderem nochmal um Freies Design ging.

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