»Wie finden wir uns?«

Mehr zufällig als geplant hatte ich die Gelegenheit am ersten ExpertFinder-Workshop in Berlin teilzunehmen. Dabei ging es um interessante Fragen, die uns auch hier umtreiben: »Wie finde ich, wen oder was ich suche? Und wie werde ich gefunden?« Hier nun also ein kurzer Bericht vom Workshop.

Die Lösung für solche Fragen ist das semantische Web, dachte man. Das internationale Standardisierungsgremium W3C versucht sich schon eine Weile an der Definition einer Infrastruktur, aber irgendwie kommt das semantische Internet nicht aus dem Knick. Warum? Das liegt in der Natur der Semantik, würde ich sagen.

Kleiner erkenntnistheoretischer Ausflug

Semantik bedeutet Bedeutung. Es geht um die Bedeutungen der Welt, die die Menschheit hergestellt oder als Vorgefundenes in ihre Lebenspraxis bedeutungsvoll integriert hat. Diese Welt-Bedeutungen lassen sich nicht formal definieren, weil sie – sobald man sie von unser Lebenspraxis trennt – tot sind. Alle, die sich nun mit Semantik theoretisch oder praktisch vergnügen, machen nun genau das: Sie fixieren Bedeutungen in einer abgeschlossenen »Blockwelt« mit definierten SyntaxSemantik-Beziehungen. In solchen Miniwelten kann man nun formal (syntaktisch) mit bedeutungsvollen (semantischen) Einheiten umgehen, etwa maschinell lesen und verarbeiten. Nehmen wir als Beispiel eine »Miniwelt mit Hausnummern«, wer HTML ein wenig kennt, kann das gut lesen:


<hausnummer>42</hausnummer>

Das Problem bei solchen Miniwelten ist, dass die Semantik eigentlich nur außerhalb der Miniwelt verstehbar ist, nämlich in unserer Lebenspraxis. Es gibt also eine quasi undefinierte (weil undefinierbare) Referenz nach „außen“. Wenn in der Miniwelt zum Beispiel steht: „42“, dann funktioniert das nur, weil wir wissen, was Häuser sind, was Nummern sind und dass es (hierzulande) üblich ist, Häusern Nummern zu verpassen, um sie besser finden zu können etc. Innerhalb der Miniwelt sind beides – „hausnummer“ und „42“ – nur Zeichen. Solange wir wissen, wir wir solche Miniwelten zu benutzen haben, ist das alles kein Problem. Wir tun dies ohne dauernd. Schwierig wird es, wenn mehrere Miniwelten aufeinander treffen: Sehr häufig passen die Semantiken nicht zueinander, weil sich die impliziten Verweise in unsere Lebenspraxis nicht decken.

Damit sind wir beim Grundproblem: Im semantischen Web lassen sich beliebig viele »informatische Ontologien« definieren, die jeweils ein eigenes Vokabular verwenden und in einer bestimmten Domäne funktionieren, aber untereinander oft nicht kompatibel sind. Nehmen wir an, in einer bestimmten Lebenspraxis werden Wohnorte nicht über Hausnummern, sondern über Landschaftsmarken (früher üblich) gefunden. Dann taugt die Miniwelt mit der formal definierten Hausnummer nicht mehr. Hinzu kommt ein zweites Grundproblem, das ich aber nicht so hoch hängen will: Die Selbstreferenzialität. Welche Ontologie enthält denn die definierten Ontologien, also sich selbst?

Ganz allgemein gesagt haben wir es mit einem Semantik-Paradoxon zu tun: Das platte World Wide Web ist ein großer Haufen Zeichenmüll, der nur mit Brute-Force (aka Google) handhabbar ist. Viel cleverer wäre es, wenn das WWW kapiert, was ich will. Es müsste also „semantisch“ funktionieren. Das WWW als Abbildung (eines Ausschnitts) der Lebenspraxis ist nun aufgrund des oben beschriebenen Problems grundsätzlich nicht vollständig semantisch definierbar. Es gibt keine Welt-Ontologie. Oder anders gesagt: Es gibt nur eine Welt-Ontologie, und das ist unsere Lebenspraxis.

Nun ja, das ist nicht so schlimm und für manchen vielleicht auch tröstlich. Es wäre ja trotzdem schon viel gewonnen, wenn wir in einigen Bereichen ein paar Miniwelten zur Verfügung hätten, auf den wir operieren könnten. Wir müssten uns nur entspannen und von der Vorstellung Abschied nehmen, man könnte die Welt »repräsentieren«. Es wäre ja schon ganz schick, wenn Miniwelten unser Werkzeug sein würden und wir also die Syntax-Semantik-Beziehungen genauso ansehen: Was wäre wirklich nützlich für uns? Statt: Wie bilden wir die Welt ab? Pragmatisch geht die Reise ohnehin genau in diese Richtung. Nun also zum Workshop.

Chaos der Ontologien

Auf dem ExpertFinder-Workshop spielten drei Ontologie-Beschreibungssysteme (aka: Miniwelten) eine Rolle:

  • FOAF (»Friend Of A Friend«, gesprochen in einem Wort analog „loaf“) ist ein Format zur Beschreibung von Personen. Wichtigstes Feld ist „knows“, was auf andere Personen verweist. So lassen sich Bekanntschaftsnetzwerke nutzbar (surfbar, grafisch darstellbar etc.). Vergleichbar ist FOAF mit vCard, was wohl (fast) alle E-Mailprogramme nutzen.
  • SIOC (»Semantically Interlinked Online Communities«, gesprochen wie „Schock“) ist ein Format zur Erfassung von Online-Diskussionen in Blogs, Foren oder Mailinglisten. SIOC lässt sich gut mit FOAF verbinden.
  • SKOS (»Simple Knowledge Organisation System«, gesprochen wie geschrieben: „Skoss“) ist eine W3C-Spezifikation zur Darstellung hierarchischer Informationsstrukturen, Thesauri, Taxonomien etc.

Mit hinzunehmen würde ich auch noch:

  • DOAP (»Description Of A Project«, gesprochen wie „dope“) ist ein Format zur Beschreibung von Freien Softwareprojekten. Genutzt wird DOAP von Software-Registern wie CodeZoo, SWIK, CheeseShop etc.

Das Problem aller dieser Formate ist ihre zu geringe Verbreitung. Ein „Henne-und-Ei-Problem“: Es nutzen noch nicht viele, so dass die eigene Beteiligung Nutzen verspricht; ein höherer Nutzen erfordert die Beteiligung von mehr Nutzern. Kurz: Die kritische Masse ist nicht da. Ähnlich bei den Anwendungen: Es gibt viel wenig, weil sie zu wenig nachgefragt werden und vice versa.

Gleichzeitig existieren zum Beispiel neben FOAF mit der vCard Formate, die durchaus intensiv benutzt werden. Allerdings sind diese ähnlichen Formate nicht ohne weiteres ineinander überführbar. So wurde auf dem Workshop diskutiert, welchen Weg man gehen kann. Interessant war für mich zu beobachten: Ein Ami schlug einen pragmatischen Weg vor (»Nimm dir einen Graduate Student und lass dir ein Programm schreiben«), während der Österreicher eine saubere Abbildung (»Ich will eine allgemeine Lösung auf der Basis eines deklarativen Mappings«) vorzog. Irgendwie passt es doch immer wieder…

Was heisst das für uns?

Es gibt am 18.2.2007 ein Treffen, um über die Frage der besseren Vernetzung von Projekten der »Solidarischen Ökonomie« (was immer das ist…) zu sprechen. Ich fürchte, da kommt nur wieder der übliche Kanon raus: Noch ein Wiki, Blog, Newsletter etc. Bringt es das? Bringt es was, sich am Kampf um Aufmerksamkeit zu beteiligen, anstatt zu gucken, wie wir untereinander zeitsparende Netzwerke knüpfen können? Ich halte es für vielversprechender, die schmale Kraft in die eigene P2P-Vernetzung zu stecken, als ungelesene Infos in die Welt zu blasen. Oder wenn denn Info-Fluten sein muss (es gibt ja gute Gründe), dann wenigstens in einer Weise, dass die Informationen wiederverwendbar sind. Dazu müssen sie maschinenlesbar sein. Die vorgestellten Miniwelt-Formate bieten sich an. Allerdings setzt das die Bereitschaft voraus, sich mit neuen Techniken zu befassen – erstmal nur eine Herausforderung für das Denken.

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