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re:publica — Scheitern am Geld

Ist die re:publica07 [1] finanziell gescheitert? — Nee, ganz im Gegenteil, waren ja sehr viele Leute da. Und alle waren begeistert. Klar, da wird ein bisschen genörgelt über die Nicht-Debatte [2]. Aber sonst?

Dabei gab es ein Thema, das mühevoll zur einer Scheinkontroverse hochschwadroniert werden sollte: Werbung in Blogs, ja oder nein [3]. Aber irgendwie funkionierte es nicht. Trotz des Moderator-Flehens wollte niemand, weder Publikum noch Podium, gegen Werbung reden. Vielleicht sind die Fundis [4] einfach nicht zur re:publica gekommen. Im Folgenden versuche ich den Gründen nachzuspüren, warum nach meinem Empfinden die re:publica am Geld gescheitert ist, und zwar am Thema Geld und Geldlogik.

Ein Fetisch ist nicht diskutierbar

Das Zähnekappern war im großen Saal mit Händen zu greifen. Bloggen ist ja so toll, aber wo bekomme ich meine Kohle her? Verzweifelt wurde ans SMS-Board gepostet: »Sagt doch endlich wie mit Bloggen Geld verdient werden kann«. Tja, einige werden es wohl schaffen und richtig abräumen — auf das der Mythos vom-Blogger-zum-Millionär neue Nahrung erhalte. Aber die Masse kann wohl kaum Hoffnung machen, auch nur die Betriebskosten reinzuholen. Ist die digitale Bohème [5] doch nur ein Prekariat [6] 2.0?

Auf der re:publica schwebte der Fetisch wie ein unfassbarer Geist durch alle Veranstaltungen: Geld, Geld, Geld. Doch darüber gesprochen wurde nicht. Stattdessen ging es immer nur darum, wie man dran kommt. Geschäftsmodelle, Selbstvermarktung, Selbstverwertung, Selbstverwurstung. Aber immer schön unabhängig bleiben. Und ist nicht sowieso die Festanstellung die schlimmste Abhängigkeit, die man sich vorstellen kann? Also besser selbstverwursten als fremdverwursten. Besser? Anders?

Ein Fetisch ist nicht diskutierbar, ihm kann nur gehuldigt werden. Schließlich hängt das eigene Leben davon ab. Wir kommen nicht drum herum. Müssen wir uns also unterwerfen? In geradezu aggressiver Weise wurde jede leichte Berührung mit der Idee, dass das Geld und seine Logik selbst das Problem sein könnte, pathologisiert:

»Es kann nicht sein, dass Dinge immer verschenkt werden — das ist völlig krank.« (aus der Diskussion Bewegte Bilder [7]).

Diese emotional vorgetragene Wortmeldung aus dem Publikum spiegelt die gesamte Konferenz wider:

Ja, das macht Angst, und es macht krank. Jedoch nicht die Kostenlosigkeit ist das Kranke, sondern im Gegenteil die Tatsache, dass das Leben sich nur als Kostenfaktor denken lässt. Die Tatsache, dass Leben kostet, ist krank.

Geld als Natur

Geld ist da, Geld ist Natur, ohne Geld kein Leben. Scheinbar. Darüber gibt’s nichts zu reden. Scheinbar. Wenn es regnet, kann ich jammern, aber ändern kann ich es ja doch nicht. So ist das mit Naturdingen. Besonders anstrengend sind dann solche Leute zu ertragen, die mit einem rebellischen Impetus, Unterwerfung einfordern und vermeintliche Tabus brechen, um endlich mal die Wahrheit sagen: »Leute, es regnet, stellt euch drauf ein.« Auf diese Art von Rebellentum kann man dann wieder ein Marketingkonzept setzen, sich selbst vermarkten und demonstrieren: Es geht doch [8]. Das ist hübsch selbstreferenziell, die zu brechenden Tabus gehen nie aus. Q.e.d.

Keine Denunziation, doch Denunziation

Schreibe ich hier einen wohlfeilen Denunziationsbericht? Trifft nicht zu, was Don in der re:publica-fanzine [9] schrieb:

»Interessanterweise habe ich den Eindruck, dass die Kritik daran, dass manche Blogger ihre Arbeit vermarkten, oft von jenen kommt, die in einem festen Arbeitsverhältnis stehen.« (Blogs & Werbung, S. 5)

Ups, ich stehe in einem festen Arbeitsverhältnis. Aber ich habe nur eine 0,4 Stelle, schon vor längerer Zeit mal durchgesetzt, mir reicht das. Darf ich jetzt noch kritisieren? Was kritisiere ich überhaupt? Was macht der Don hier eigentlich für einen merkwürdigen Gegensatz auf? — Das ist so einer der schwer zu ertragenden Ich-sag-euch-mal-die-Wahrheit Aussagen, der einen künstlichen Gegensatz entlarvt: Feste gegen Freie. Wie blöd.

Es mir nicht darum, irgendeine Form des Umgangs mit den uns drangsalierenden Zwängen zu denunzieren. Es ist doch total Wurscht, in welcher Weise ich dem Zwang nachkomme, dass ich zum Leben irgendwie an Geld rankommen muss: Ob als abhängig Beschäftigter, Selbstangestellter, Unternehmer, Hartz-4-Empfänger, Erbschleicher oder sonst was. Nicht Wurscht ist dabei natürlich das Level an Lebensqualität, was am Ende dabei rauskommt.

Was denunziert gehört, ist die Tatsache, dass es einen solchen Zwang zur Unterwerfung unter die Geldlogik gibt. Diese Denunziation ist dabei unabhängig davon, ob ich die Zwangslogik heute oder morgen abschaffen kann. Aber um mit ihr halbwegs verträglich umgehen zu können, um gar partiell Alternativen sichtbar machen zu können, muss der Fetisch als solcher denunziert werden. Und darüber kann man dann reden, auch wenn es schwer ist.

Was ich stattdessen auf der re:publica erlebt habe, ist eine einzigartige große Anstrengung, sich dieses scheinbar Unsagbare vom Leib zu halten. Und ich muss zugeben, dass ich ja selbst in den Verstaltungen saß und wie gelähmt war und dachte: »Das kann doch nicht wahr sein. Wie kannst du das auch nur ansatzweise irgendwem vermitteln, was gerade hier untergründig abgeht? Du kannst doch den Leuten nicht den Boden unter den Füßen weg ziehen, und dir besser auch nicht. Dabei ist die Panik in den Augen ablesbar.« Und dann sagt der Retro-Design-Punk doch glatt: »Ich mach‘ Euch alle reich« — abgedruckt in dem o.g. Fanzine auf der Zitateseite vor dem Hintergrundbild einer Hauswand, auf der steht: »todo para todos« — Alles für alle. Haha, ja, mit Selbstironie geht es dann doch irgendwie, nicht wahr?

So. Wird damit verständlich, warum die Frage, ob ein Blog Werbung haben darf oder nicht, bloß scheinbar so wichtig ist? Und warum keiner wirklich darüber streiten mag? Und warum auch die Fundis nur auf der anderen Seite der selben Medaille sitzen? Und warum mir auch gerade keine »Lösung« einfällt?