Es geht ums Ganze — aber jenseits des Kapitalismus wird nicht gedacht

Bekanntlich waren Stefan, Benni und ich von Freitag bis Sonntag auf dem „No way out?“-Kongress des „…ums Ganze!“-Bündnis ins Frankfurt am Main, zu dem es hier auch schon im Vorfeld einige Diskussionen gegeben hatte. Hier meine Eindrücke.

Das Fragezeichen im Titel („No way out?“) wurde auf dem Kongress selbst gelegentlich vergessen, was durchaus symptomatisch für die Inhalte stand, wie man sehen wird. Gemäß Kongress-Untertitel sollten aktuelle kapitalismuskritische Theorien von „(Post-)Operaismus“ bis „Wertkritik“ reflektiert und auf ihre Anwendbarkeit für linke Praxis überprüft werden — tatsächlich ließen sich auch die meisten Referent/innen mehr oder weniger klar einer dieser beiden Strömungen zuordnen. Erfreulicherweise war der Kongress (anscheinend auch für die Veranstalter/innen) überraschend gut besucht, mit mehreren hundert überwiegend jungen Teilnehmer/innen, wohl hauptsächlich aus dem Antifa-Spektrum. Schön war es auch, nette Leute wie etwa Uli Frank und Juli zu treffen 🙂

Interessant war z.B., dass die „wertkritischen“ Krisis-Vertreter (Norbert Trenkle und Ernst Lohoff) mit einer mittlerweile sehr stark abgeschwächten Variante ihrer „Zusammenbruchsthese“ auftraten. Der früher propagierte bevorstehende „Kollaps“ des Kapitalismus (der als zwar langfristiger, aber weitgehend kontinuierlicher Prozess beschrieben wurde) hat sich mittlerweile in eine potenziell unendlich lange „Niedergangs“-Phase verwandelt, in der zwar die zyklischen Krisen immer schlimmer und schlimmer werden sollen, aber zwischen den Krisen die kapitalistische Akkumulation mehr oder weniger ungebremst stattfinden kann. Diese abgeschwächte These lässt sich inhaltlich zwar IMHO ebenso wenig überzeugend rechtfertigen wie die stärkere alte, aber jedenfalls scheint da ein Lernprozess stattgefunden zu haben 🙂 . Da konnte selbst Michael Heinrich (der bei ansonsten der „Wertkritik“ nahestehenden Positionen immer wieder gegen die Zusammenbruchsthese und überhaupt gegen Vorstellungen, das Problem Kapitalismus könne sich quasi „von allein“ erledigen, argumentiert) nur überrascht feststellen, der Dissens zwischen ihm und Trenkle sei wohl kleiner als er gedacht hatte!

Den Postoperaismus (hier v.a. durch Robert Foltin und Thomas Seibert vertreten) fand ich mal wieder ziemlich schwach. Lustig war, dass insbesondere in Bezug auf Hardt/Negris Schlüsselwerk Empire gerne deklarierte wurde: „Das schreiben die zwar so, aber das meinen sie eigentlich gar nicht“!

Ein Highlight war (neben den Auftritten des von mir hochgeschätzten Michael Heinrich) die Einführungsveranstaltung von Nadja Rakowitz, die es fertig brachte, in 90 Minuten einen wohl auch für Einsteiger/innen ganz gut verständlichen Überblick über wesentliche Konzepte und Kritikpunkte aus Marx‘ Kapital zu liefern. Eine reife Leistung!

Enttäuschenderweise kam der Kongress jedoch praktisch nie über die bloße Kritik am Bestehenden hinaus. Wie sich eine kommunistische / nicht-kapitalistische Gesellschaft organisieren könnte, war anscheinend kein relevantes Thema — erstaunlich für eine Veranstaltung, bei der es explizit um den „Ausweg“ aus dem Kapitalismus gehen sollte!

Zwar wurde mein Konzept einer auf Aufwandsteilung basierenden Peer-Ökonomie von Stefan im Anschluss an seinen (ansonsten wohl leider schwer verständlichen) Vortrag thematisiert und wir stießen damit auch bei einigen Leuten auf Interesse. Insgesamt bliebt die Resonanz aber gering, und ansonsten wurden solche Fragestellungen und Möglichkeiten nur noch in einem kleinem Workshop von Ernst Lohoff zu „Perspektiven der Emanzipation im Zeitalter der Prekarisierung“ aufgegriffen (wo allerdings der Schwerpunkt auf der Forderung nach Aneignung und Übernahme von schon vorhandenen Infrastruktur-Einrichtungen und öffentlichen Versorgungs- und Fürsorgesystemen lag — hier wie sonst ging es eigentlich höchstens um „Aneignung“, aber die Frage, wie man nichtkapitalistisch Neues produzieren könne, wurde vermieden).

Auch auf die von Benni auf der Abschlussveranstaltung gestellte Frage nach Alternativen zur kapitalistischen Produktionsweise bleiben die Antworten dünn. Neben Verweisen auf Umsonstläden (die höchstens für die Verteilung, aber nicht für die Produktion taugen) und Solidarische Ökonomie (was alles Mögliche heißen kann, aber meist nur auf andere Organisationsformen innerhalb eines kapitalistischen Marktes oder auf Notlösungen wie Subsistenzwirtschaft hinausläuft) wurde gar (sinngemäß) geäußert: „Da wir so wenige und so marginialisiert sind, dass wir eh keine praktischen Chancen haben, könnnen wir es uns leisten, radikal dagegen zu sein, ohne nach Alternativen suchen zu müssen.“ So kann man’s natürlich auch sehen — fragt sich nur, ob das der beste Weg ist, die Marginalisierung zu überwinden!

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