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Eigentum und Freie Software

Einer meiner Blogbeiträge zum Open Source Jahrbuch [1] hat mit einiger Verzögerung zu einer Diskussion auf der Oekonux [2]-Liste geführt, ob die theoretische Fundierung der Freien-Software-Bewegung tatsächlich auf einem spezifisch kapitalistischen Eigentumsbegriff basiert oder nicht. Da es hier um den Kern der von Sabine Nuss [3] geäußerten Kritik steht, dokumentiere ich hier einen längeren Beitrag von mir zu dieser Frage. Das macht es vielleicht für Leute, die Sabines Buch [4] nicht kennen, leichter nachvollziehbar, was hier immer mal wieder erörtert wird.

Ich hatte in Bezug auf einen Artikel aus dem Jahrbuch geschrieben:

[…] Bärwolffs Artikel über „Die ökonomischen Grenzen freier Software“ [5] (S. 9) beginnt mit Worten:

Wenn die Freiheit des Einzelnen und die prinzipielle Unverletzlichkeit des Eigentums das Fundament unserer Gesellschaft bilden sollen, so gehört dazu zweifellos auch die Freiheit, anderen sein Eigentum oder Rechte daran in freundlicher Absicht weiterzugeben. Die Freiheit, von der Richard Stallman in seinem Artikel „Warum ‘Open Source’ das Wesentliche von ‘Freier Software’ verdeckt“ spricht, hat also wahrlich nichts mit Kommunismus zu tun, sondern mit genau den bürgerlichen Freiheiten, die wir auch den Ackermanns dieser Welt zubilligen.

Hehe — eine explizitere Bestätigung für Sabine Nuss‘ [6] Thesen ist wohl kaum vorstellbar 😉

Dem widerspricht HGG [7], ein Mitglied der Oekonux-Liste, der meint, dass zumindest Richard Stallmans [8] Begründung der Freien Software durchaus kommunistische Züge trägt:

Nun ja, ich gehe mal davon aus, dass Stallman deutlich besser versteht, was mit „Kommunismus“ gemeint ist als Bärwolff, jedenfalls kann ich die entsprechende Interviewsequenz („what about communism?“) im Film „The Revolution OS“ nicht anders interpretieren.

Stallman spricht schließlich von der Freiheit, die eigenen Lebensbedingungen (in Bezug auf die für ihn wichtige Komponente der Verfügbarkeit von Quellcode und Wissen allgemein) selbst zu gestalten. Und das ist wohl kaum was anderes als Marxens Kommunismusverständnis im Vorwort der „Deutschen Ideologie“: Kommunismus = Produktion der Verkehrsformen der Gesellschaft.

Ich kenne den Film nicht und er scheint ja auch nicht frei zugänglich zu sein (laut revolution-os.com [9] sind nur die ersten 8 Minuten verfügbar), aber — wohl kaum (siehe unten).

HGG fährt fort:

Was das mit „Bestätigung der Thesen von Sabine Nuss“ zu tun hat, hat sich mir aber nicht erschlossen.

Und wenn man es mit den Freiheiten („Was aber ist Freiheit, wenn es nicht die törischte Freiheit sein soll, das Falsche zu tun?“ – PM) ernst meint, dann kann man sie den Ackermanns auch nicht vorenthalten, denn es sind _Menschen_rechte, auch die kommunistischen Freiheiten (oder die einer Freien Gesellschaft)

So sieht das ja auch Bärwolff, der es ja toll findet, dass Open Source sich so einwandfrei ins bürgerliche Konzept fügt, statt es in Frage zu stellen. Aber die bürgerliche Freiheit, andere ausbeuten (= für sich arbeiten zu lassen*) zu dürfen, setzt natürlich an anderer Stelle den strukturellen Zwang, sich ausbeuten lassen zu müssen, voraus. Der Kapitalismus stellt diesen Zwang über sein Eigentumskonzept her (wer nicht hinreichend Eigentum hat oder bekommen kann, um andere ausbeuten zu können, ist gezwungen, sich selbst ausbeuten zu lassen, sofern er/sie sich nicht mit einem äußerst kläglichen Leben abfinden will).

(* Begriffserläuterung: Wie in der Klammer schon angedeutet, verwende ich „Ausbeutung“ als Fachbegriff im Marx [10]’schen Sinne: A beutet B aus, wenn B für A arbeitet, wodurch ein Teil der von B geleisteten Arbeit A zugute kommt. Dabei spielt es keine Rolle, ob B unmittelbar als Angestellter oder mittelbar als Freiberufler für A arbeitet. Der Begriff ist nicht moralisch gemeint: A ist nicht schlecht oder böse, weil er/sie B ausbeutet — es handelt sich dabei lediglich um eine Option, die einige haben, die meisten anderen aber nicht.)

Wer aber diesen strukturellen Zwang, sich ausbeuten lassen zu müssen, aufhebt, hebt damit natürlich zugleich auch die bürgerliche Freiheit, andere ausbeuten zu können, auf (sie besteht dann vielleicht noch auf dem Papier, hat aber keinerlei praktische Relevanz mehr, da es niemand gibt, auf den sie sich bezieht). Deshalb wird jeder Versuch, diesen strukturellen Zwang aufzuheben (= „Kommunismus“) von den Ackermanns [11] dieser Welt als unfreiheitlich empfunden, weil er ihre real bestehenden Freiheiten (Handlungsmöglichkeiten) reduziert — genau wie ein vorbürgerlicher König die bürgerliche Rechtsordnung als unfrei empfinden muss, weil sie seine Freiheit, seinen Untertanen die Köpfe abschlagen zu dürfen, negiert.

Mit Kommunismus hat die bürgerliche Freiheit, seine Untergebenen ausbeuten zu dürfen, aber natürlich genauso wenig zu tun, wie die königliche Freiheit, seinen Untertanen den Kopf abschlagen zu dürfen. Eine Gesellschaft, die man „kommunistisch“ nennen könnte, wäre eine, wo es weder Untertanen noch Untergebene gibt, so dass diese beiden „Freiheiten“ keinerlei Relevanz mehr hätten, weil es nichts mehr gibt, worauf sie sich beziehen.

Stallman & Co. stellen die bürgerliche Rechtsordnung, d.h. den strukturellen Zwang, sich ausbeuten lassen zu müssen, der sich aus dem kapitalistischen Eigentumskonzept ergibt, aber explizit nicht in Frage. Im Gegenteil berufen sie sich sogar explizit darauf, weil sowohl die praktische Absicherung (FOSS [12]-Lizenzen) als auch die theoretische Begründung ihrer Konzepte auf dem Idee des Eigentümers, der seine Lizenz nach eigenem Gutdünken wählen kann, aufbaut.

<Einschub zu Stallman>
Stallman geht in seiner Kritik hier zwar tatsächlich weiter als der Rest der FOSS-Bewegung. Aus Texten wie (dem seinerzeit von mir übersetzen) „Warum Software keine Eigentümer haben sollte“ [13] wird aber sehr schnell klar, dass er das bürgerliche Eigentumskonzept nicht grundsätzlich in Frage stellt (Software sollte vielleicht keine Eigentümer haben, materielle Dinge aber schon).

Zweitens (und vielleicht weniger leicht zu sehen), negiert Stallman auch in Bezug auf Software das bürgerliche Eigentumskonzept nicht komplett, sondern verortet es nur anderswo: Stallman argumentiert, dass Software wie ein Auto behandelt werden sollte — wenn ich ein Auto habe, habe ich das Recht, es nach eigenem Gutdünken an andere weitergeben und/oder es umzubauen. Stallman argumentiert, dass ich auch bei Software diese Rechte haben sollte, sprich dass sich das Eigentum beim Kauf/Erwerb auf den neuen Besitzer übertragen sollte, wie es bei materiellen Dingen üblich ist, bei Software aber nicht. Diese Frage, wo das Eigentum beim Erwerb verbleiben soll, ob es mitübertragen wird oder nicht, setzt den bürgerlichen Eigentumsbegriff aber schon voraus — sie negiert ihn nicht, sondern interpretiert ihn nur auf andere Weise.
</Einschub Ende>

Grundsätzlich wird das Eigentum, und damit der strukturelle Zwang, also anerkannt und keineswegs in Frage gestellt, weder von Stallman noch vom Rest der FOSS-Bewegung. Das ist der Punkt, den sowohl Sabine Nuss als auch Bärwolff sehen, nur dass Nuss ihn als unzureichend kritisiert, während Bärwolff ihn toll findet.

Wobei die kommunistische Situation, dass sowohl der unmittelbare Zwang des Königs (köpfen) als auch der strukturelle Zwang der Bürgertums (verhungern bzw. verelenden) aufgehoben sind, in der Praxis der Freien Software ja schon partiell besteht. Ein Linus Torvalds [14] kann seine Mitarbeiter/innen (die mit ihm am Linux-Kernel arbeiten) nicht ausbeuten — anders als ein Bill Gates –, weil sie nicht von ihm abhängig sind. In der Praxis der (doppelt) Freien Software [15] gibt es weder Untertanen noch Untergebene, in der Theorie aber wird das Eigentum, und damit die Existenz von Untergebenen, nach wie vor akzeptiert.

Die Existenz dieser Praxis ist ein klarer Hoffnungsschimmer (sofern man den strukturellen Zwang schlecht findet), nur ist eben die Frage, wie weit sie ohne eine entsprechende Theorie kommen kann. An diesem Punkt bin ich mir mit Sabine Nuss nicht so ganz einig, auch wenn ich ihre Analyse der Theorie teile: Ich finde die Existenz der Praxis schon mal sehr wichtig, und beurteile das Potenzial der Freien Software daher weniger pessimistisch als Sabine. Aber dass das Fehlen einer zu dieser Praxis passenden Theorie ein erhebliches Problem ist, das Weiterentwicklung und Ausbau dieser Praxis zumindest stark erschwert, sehe ich auch.

(Der Beitrag basiert auf diesem Posting [16].)