Bewußt wie!

In der Diskussion zum Beitrag „Keimformen im Dienstleistungssektor“ sind wir auf einen interessanten Punkt gestoßen: Die Frage, wie wichtig das bewußte Handeln der Akteure für Keimformen ist. Überspitzt gesagt: Reicht es, wenn gilt: „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ oder ist vielmehr das bewußte Handeln eine unabdingbare Vorrausetzung für Keimformen?

Auch Sabine Nuss bemängelte in ihrem Buch „Copyright & Copyriot“ an den Praxen der Freien Software oder der Tauschbörsen, dass die Akteure nicht mit dem nötigen antikapitalistischen Bewußtsein vorgingen.

Beide Einwände haben ihre Berechtigung, denn natürlich kann es nicht darum gehen, dass sich der Kapitalismus „quasi von alleine“ abschafft, wie Juli zu Recht anmerkt:

alles andere klingt mir doch zu sehr nach ‘historischem materialismus’: die veränderungen der produktivkräfte sorgen schon – quasi von alleine – dafür, das die dinge sich zum besseren wenden. und das würdest du doch auch nicht behaupten wollen, vermute ich mal? (Link von mir eingefügt –benni)

Stimmt, nichts läge mir ferner. Statt dessen möchte ich dafür plädieren, zunächst mal zu gucken von welchem Bewußtsein die Rede ist. Sowohl bei Juli als auch bei Sabine scheint es darum zu gehen, dass die an potentiellen Keimformen Beteiligten eine möglichst genaue Vorstellung davon haben sollten, dass der Kapitalismus abgeschafft gehört und am Besten auch noch wie (korrigiert mich, wenn ich falsch liege). Mir erscheint das etwas zu hoch gegriffen. Schließlich wissen wir ja nunmal eben gerade nicht, wie dieses schwierige Unterfangen zu bewerkstelligen wäre, also ist es doch etwas unfair, dass von anderen zu verlangen, bevor man ihnen zugesteht gesellschaftsverändernde Kraft entfalten zu können.

Ich sage statt dessen: Bewußtsein ist wichtig, aber wichtiger als das antikapitalistische Bewußtsein ist das Bewußtsein der eigenen Möglichkeiten und Wünsche. Was meine ich damit? Die Freie-Software-Bewegung ist nicht durchgängig antikapitalistisch, ja sogar in großen Teilen ausgesprochen prokapitalistisch. Dennoch herrscht dort ein Bewußtsein vor, dass Freie Software wichtig ist, weil es wichtig ist für die eigenen Handlungsmöglichkeiten als Software-Entwickler und auch die Handlungsmöglichkeiten anderer gesellschaftlicher Akteure, Zugang zum Source zu haben. Genau dieser Zugang wurde vom Mainstream-Informationskapitalismus verwehrt, also versucht man das zu umgehen. Das würde ich durchaus ein bewußtes Handeln nennen. Hier wird mit Zwängen des kapitalistischen Systems bewußt umgegangen und es werden bewußt Handlungsmöglichkeiten erweitert. Dafür braucht man nicht linksradikal sein. Und das ist kein Bug sondern ein Feature.

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