Bericht vom CCC

Der 23. Chaos Communication Congress ist gestern zu Ende gegangen. Im Bereich Freie Software gab es eher wenig neues:

Zu dem von Stefan vorab analysierten Vortrag „The Rise and Fall of Open Source“ konnte ich nicht, aber (wie ich von anderen gehört habe) scheint der Vortrag auch nicht so doll gewesen zu sein.

Über „The gift of sharing“ gibt es kaum positives zu berichten — leider war der gesamte Vortrag ähnlich inkohärent und seltsam („keep the flow going“) wie der Titel 🙁 . Wer wissen will, wie und warum Freie Software und Freie Kultur wirklich funktionieren, sollte lieber Yochai Benklers Analyse der Peer-Produktion lesen.

Sehr viel interessanter war „Freie Software — Eine Chance für Afrika?“

Thema dieses Vortrags war ein universitäres Kooperationsprojekt, in dem es darum geht, die Universität von Malawi, einem der ärmsten Länder der Welt, mit Hardware und Freier Software auszustatten; berichtet wurde auch von den dort gemachten Erfahrungen mit den neokolonialistischen Praktiken von Microsoft u.a. Es gibt auch ein Blog zum Projekt.

Den Vortrag von Atul Chitnis (der auch schon auf der WOS 4 war) über „Hacking a Country: FOSS in India“, habe ich verpasst, so dass ich nicht weiß, ob sich im Vergleich zur WOS (damals: „in ganz Indien gibt es nur 7 FS-Entwickler/innen!“) ein größeres Delta ergeben hat; Berichte gibt es aber bei der Tagesschau und bei Netzpolitik.

Im Bereich Freie Kultur gab es einen Erfahrungsbericht von Dying Giraffe Recordings, einem weiteren Netlabel, das auf CC-Lizenzen setzt und den Anspruch hat, „non-evil“ zu sein, aber den Musikern trotzdem Geld einzubringen. Bilanz: beides unter einen Hut zu bringen klappt wohl (noch?) nicht so ganz, freiwillig („tip jar“ für Spenden) zahlen die meisten wenig und preisgünstige CDs verkaufen sich nicht unbedingt besser als teurere (wegen der „billig == schlecht“ Wahrnehmung). Unterschwellig zu merken, wenn auch vom Vortragenden nicht reflektiert: Kapitalismus und „non-evil“ gehen halt nicht so leicht zusammen.

Außerdem gab’s eine Variation des Standardvortrags von Lawrence Lessig. Wohl ähnlich wie auf der WOS (wo ich ihn mir gespart hatte); wieder mal mit schönen Beispielen zur Remix-Kultur (z.B. „Jesus must survive“ — witziges Video, deprimierende Kommentare) und seinen üblichen Argumenten. Zwei Stränge waren wohl neu:

  • Die Pump Audio Initiative will CC-Lizenzen für die nichtkommerzielle Nutzung von Musik mit Bezahllizenzen für kommerzielle Zwecke kombinieren, so dass Musiker von der kommerziellen Nutzung ihrer freien Werke profitieren können. Nichts gegen einzuwenden, aber in Hinblick auf die Überwindung der Verwertungslogik nicht weiter interessant.
  • Lessig hat jetzt auf den (auf der WOS von Benjamin Mako Hill) gemachten Vorwurf geantwortet, dass manche der CC-Lizenzen nicht „frei genug“ sind, indem sie etwas die kommerzielle Nutzung verbieten. Seine Argumentation war zwar mangelhaft (das uralte „free rider“-Argument, mit dem bis ~2000 der schnelle Untergang der P2P-Netze vorhergesagt wurde, und das dann stattdessen selbst in der Versenkung verschwand 😉 ). Inhaltlich ist sein Punkt aber IMHO berechtigt: dass die „NonCommercial“-Klausel für Musik u.a. Freie Inhalte dieselbe Wirkung hat wie das Copyleft für Freie Software (= Werkzeuge), nämlich andere daran zu hindern, das Werk zu verwerten, ohne dass die Originalautor/innen selbst dazu profitieren.

Einen längeren Bericht zu Lessig gibt es bei futur:plom (wo der Kongress überhaupt sehr detailliert und treffsicher aufbereitet wird).

Sehr lohnend war der nächtliche Vortrag „Revenge of the Female Nerds: Busting Myths about Why Women Can’t Be Technical“ von Annalee Newitz. Definitiv eine genauere Betrachtung wert, zu der ich heute aber nicht mehr komme, daher vorerst nur ein Link auf die Berichte bei Scrupeda und futur:plom sowie auf Newitz‘ Websites Techsploitation sowie She’s Such a Geek (Blog und Buch).

Soweit zu den on-topic (für dieses Blog) Veranstaltungen. Es gab aber auch andere interessante, z.B.:

  • „Tor and China“: der Hauptentwickler des Anonymisierungsnetzwerks Tor berichtete über ihre Pläne, den „Großen [Zensur-]Firewall“ von China anzugehen. Wer Tor nicht kennt: es ist die wohl beste Möglichkeit, sich heute im Netz anonym zu bewegen, und definitiv unterstützenswert.
  • In „Elektronische Reisedokumente“ ging es über die neueren Entwicklungen beim „Überwachungspass“. Einen RFID-Chip mit elektronisch gespeicherten Foto gibt es in neu ausgegebenen Reisepässen ja schon seit etwa einem Jahr, aber ab November 2007 (kann sich aber leicht nochmal nach hinten verschieben) soll der Fingerabdruck als „zweites Merkmal“ hinzukommen. Wer sich also bei der Passverlängerung nicht erkennungsdienstlich behandeln lassen will, sollte sich den Oktober 2007 vormerken. Ab 2008 sollen dann auch Personalausweise betroffen sein. Seufz — nun ja, Auswandern ist auch noch eine Alternative.
  • Eher in die Kategorie „Unterhaltung“ gehörte der Vortrag über Dronen, der’s auch zu Spiegel Online gebracht hat (aber futur:plom hat die besseren Bilder). Wobei die Dinger auch als potenzielles Freie Hardware-Projekt betrachtet wurden, aber naja…
  • Der Vortrag „Pornography and Technology: a love affair“ war extrem gut besucht (wen wundert’s), aber inhaltlich sehr dünn, und die Rednerin hatte die peinliche Angewohnheit, Fragen, die ihr nicht passten, schlichtweg zu ignorieren. Trotzdem fiel mir in diesen Kontext ein, wie es eigentlich um Community-Erotik- und -Porno-Projekte als Alternativen zum üblichen Kommerz bestellt ist? Eigentlich müsste hier doch ein immenses Potenzial für Freie Projekte bestehen?

Soweit zum Kongress, die rein unterhaltsamen oder inhaltlich weiter entfernten Vortrage spar ich mir. Insgesamt immer eine nette und spannende Möglichkeit, die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr zu verbringen. Vielleicht sehn wir uns 2007?

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